Vermittler oder Schöpfer

Herr Norbert Häring verfasste am 10.11.2019 den Beitrag
Studenten rebellieren gegen falsche Darstellung des Bankwesens in den Ökonomie-Lehrbüchern
und bezieht sich auf Schreiben von „Rethinking Economics“ und dem „Netzwerk Plurale Ökonomik„.
Leider kann man nicht erkennen, von wann diese Schreiben sind.

Herr Häring unterstützt diese „offenen Briefe“ durchweg. Ich möchte jedoch auf einige Ungereimtheiten aufmerksam machen.

Die Aussage, dass Banken nicht zuerst Spargelder einsammeln müssen bevor sie diese in einem Kreditvorgang weiter verleihen können, sehe ich ebenfalls so. Damit ist jedoch noch nicht gesagt, dass der Umkehrschluss auch gilt, dass Banken zur Kreditvergabe keine Spargelder benötigen.

„EMPIRISCHER NACHWEIS“
Es wird sich nun auf Professor Werner berufen, der angeblich den empirischen Nachweis erbracht habe, dass Banken keinerlei Spargeld benötigen um Kredite zu vergeben. Analysiert man Werners Nachweis etwas genauer stellt man fest, dass er viele fehlerhaften Annahmen getroffen hat.

  • Es wird ein einzelner Buchungssatz bemüht, um die Geldentstehung aus dem Nichts zu beweisen. Dabei werden nur die Konteneinträge beobachtet, welche sich durch die Kreditvergabe verändert haben. Sämtliche anderen, zwangsläufig durch den Kredit ausgelösten bankinternen Anpassungen bezüglich der Eigenkapital- und Liquiditätsanforderungen, werden einfach vernachlässigt. Eine Bank existiert jedoch nicht nur im Augenblick der Kreditvergabe sondern muss auch noch die Nachwehen dieser Kreditvergabe verdauen.
  • Die Bank in Werners empirischem Versuch lässt sich von Werner vor Kreditvergabe schriftlich bestätigen, dass Werner den Kreditbetrag unverzüglich wieder zurückführt, d. h. dass er sein im Kreditvorgang entstandenes Geld nicht für Einkäufe oder sonstige Aktivitäten verwendet. Somit ist schon der bei einem Kredit sonst übliche Abfluss von Bankmitteln eliminiert. Was wird denn jetzt noch durch diesen eingeschränkten Praxistest von Werner bewiesen?
  • Ähnlich dubios ist seine Beobachtung, dass vor der Kreditvergabe von keinem anderen Kundenkonto Geld abgezogen wurde um den neuen Kredit zu ermöglichen. Werner beweist damit nur, dass ihm der Sparvorgang in einer Bank völlig unbekannt geblieben ist. Finanziert eine Bank einen Kredit beitrags- und fristenkongruent, was der Funktion eines Finanzvermittlers entspricht, so benötigt sie hierzu einen Sparer. Ein Bankkunde benötigt z. B. einen Kredit über 10.000 € für ein Jahr. Besitzt die Bank jetzt einen anderen Kunden der bereit ist, sein Giroguthaben von 10.000 € für die Zeit von einem Jahr in ein Sparguthaben umzuwandeln, so hat die Bank den Kredit beitrags- und fristenkongruent finanziert, d. h. ihr ist aus dem Kredit kein zusätzlicher Liquiditätsbedarf entstanden. Hierzu wird auch keinesfalls vom Konto des Sparkunden ein Betrag an den Kreditnehmer überwiesen. Werner konstruiert jedoch aus der fehlenden Belastung eines Sparkunden den Nachweis einer nicht stattfindenden Finanzvermittlung. Gravierende Sachkenntnismängel führen ihn zu einem solchen Fehlschluss.
    Anzumerken ist jedoch, dass die Banken tatsächlich ihre Kredite nur zu einem überwiegenden Teil beitrags- und fristenkongruent finanzieren, d.h. für einen doch bemerkenswerten Anteil fehlt diese Finanzierungsart.
  • Als Strohpuppe wird von Werner sodann noch die „Multiple Geldschöpfung“ wie auch die „fractional reserve theory“ aufgebaut, um dann kräftig auf diese, kaum noch anzutreffenden Theorien, einzuschlagen. Details hierzu siehe „Können einzelne Banken Geld aus dem Nichts schöpfen“

Neben Werner wird sich in den offenen Briefen auf Veröffentlichungen der „Bank of England“ und der „Deutschen Bundesbank“ bezogen. Im Schülerbuch der Deutschen Bundesbank, letzte Ausgabe vom Frühjahr 2019, wird die Geldschöpfung denn auch ab der Seite 78 beschrieben. Zitat:

„KURZ GESAGT: DIE BUCHGELDSCHÖPFUNG IST EIN BUCHUNGSVORGANG“

Die Bundesbank sinngemäß weiter:
‚Die Bank muss jedoch davon ausgehen, dass der Kunde sein frisch erworbenes Guthaben an den Kunden einer anderen Bank überweist oder es sich bar auszahlen lässt. Als Folge der Kreditgewährung muss sich die Bank dann entsprechend refinanzieren. Um die, mit der Refinanzierung entstehenden Risiken zu begrenzen, benötigen die Banken Spargelder. Eng damit verbunden sind die bankaufsichtlichen Regelungen zum Eigenkapital und zur Liquidität.’

Hier wird eindeutig ersichtlich, dass man sich bei der Beschreibung der Buchgeldschöpfung nicht nur auf den reinen Buchungsvorgang beschränken kann.

Die Deutsche Bundesbank erwähnt jedoch nicht nur an dieser Stelle die erforderliche Refinanzierung z. B. durch Spareinlagen. (Diese Refinanzierung bedeutet im Endeffekt eine indirekte Vermittlung von Kunden mit einem Geldangebot zu Kunden mit einer Geldnachfrage.) Auf der Seite 213 sagt die deutsche Bundesbank:

„Die Aufgabe des Finanzsystems besteht darin, das Weiterleiten finanzieller Mittel von Anbietern zu Nachfragern zu erleichtern. In einem Finanzsystem vermitteln Finanzintermediäre (vor allem Banken, Versicherer und Investmentfonds) zwischen den Anbietern und den Nachfragern finanzieller Mittel“

ALS FINANZINTERMEDIÄRE WERDEN ZUERST DIE BANKEN GENANNT.

Wie aber passt die Aussage über die „Buchgeldschöpfung aus dem Nichts“ zu der „Vermittlerrolle der Banken zwischen Anbietern und Nachfragern von Geld“? Welche Aussage ist richtig und welche falsch?

Beide Aussagen treffen m. E. nur teilweise zu, sind also weder ganz richtig noch ganz falsch. Um zu einer halbwegs belastbaren Einschätzung zu gelangen habe ich versucht, die jeweiligen Anteile aus konsolidierten Bilanzen des Bankensystems zu ermitteln. Hier komme ich zu dem Ergebnis, dass etwa 20 % der Buchgeldschöpfung in der Tat ohne jegliche Sparanstrengungen anderer Bankkunden von den Banken geschaffen werden. Die restlichen 80 % besitzen jedoch, über das Bankensystem gesamt gesehen, eine Refinanzierung in Form von Termineinlagen, Spareinlagen, Schuldverschreibungen und Einlagen von anderen Banken.
Siehe hierzu auch Vermittler oder Schöpfer

Ein sehr wichtiger Punkt geht zudem bei Diskussionen um die Geldschöpfung regelmäßig ganz unter. Es wird stillschweigend davon ausgegangen, dass nur NEUE Verträge abgeschlossen werden und die Betrachtung der Entstehung dieser Kredite ausreichend für die Beurteilung der Entstehung von Geld sei. Tatsache aber ist, dass gleichzeitig auch sehr viele bestehende Kreditverträge prolongiert oder durch Tilgung erfüllt werden.
Betrachtet man die Summe der Kredite an Nichtbanken über einige Jahre hinweg, z. B. von 2012 bis 2019 stellt man eine Steigerung von 11 %[1] fest. In einem Jahr sind somit die Neukredite im Schnitt um jeweils 1,8 % gestiegen. Die restlichen Kredite wurden also nur prolongiert oder aber ein Kreditnehmer hat getilgt und dafür ein anderer Kreditnehmer einen neuen Kredit aufgenommen. Genau genommen hat für das Bankensystem dann maximal nur ein Schuldnerwechsel stattgefunden. Somit gilt die bestehende Aufteilung von 80% Buchgeldschöpfung mit Refinanzierung und 20 % ohne Refinanzierung für die 98,2 % der gesamten jährlichen Kreditsumme.
Lediglich die 1,8 % werden als Kredite ohne Vorläufer neu generiert. Aber auch diese ordnen sich alsbald der vorgenannten Aufteilung von 80 % zu 20 % unter.

Zusammenfassung der unterschiedlichen Standpunkte:
Pro

Grundlegend für die Beurteilung der „Geldentstehung ohne Sparmittel“ ist die Betrachtung eines einzelnen Kreditvorganges bei einer Bank. Der dabei entscheidende Fakt ist der Zeitpunkt, zu dem Sparmittel benötigt werden. Werden diese schon „vor“ der Kreditvergabe benötigt oder erst „danach“. Da diese Sparmittel „nachweislich“ erst nach der Kreditvergabe benötigt werden, kann nicht mehr von einer Finanzvermittlung gesprochen werden. Im Kreditvorgang werden „Einlagen“ geschaffen, welche dann im Bankensystem verteilt werden.

Kontra
Von der Buchung eines einzelnen Kreditvorgangs auf die Funktion einer Bank zu schließen beinhaltet einen Fehlschluss. Die Betrachtung einer Bank über einen längeren Zeitraum, z. B. ein Jahr, liefert ein ganz anderes Bild. Dies habe ich bereits im oben erwähnten Artikel Vermittler oder Schöpfer verdeutlicht. Nur einen Anteil von etwa 20 % der Bilanzsumme erschafft die Bank ohne jegliche Sparmittel. Ob diese Sparmittel bereits vor oder nach der Kreditvergabe vorhanden sein müssen ist unwesentlich. Besonders deutlich wird dies wenn in Betracht gezogen wird, dass z. B. für den Zeitraum von 2012 bis 2019 nur 1,8 % Neukredite pro Jahr vergeben worden sind. 98,2 % basieren quasi auf der Fortführung vorhandener Schuldverhältnisse. Einen Paradigmenwechsel bezüglich der Entstehung von „Geld“, vom „Finanzvermittler“ zum „Geldschöpfer“, an diese 1,8 % Basis anzuknüpfen ist doch mehr als fragwürdig und kann kaum als „wissenschaftlich fundiert“ bezeichnet werden.

LG
Rudi

[1] Deutsche Bundesbank, Monatsbericht Oktober 2014, II Bankstatistische Gesamtrechungen, Seite 10, „Kredite an Nichtbanken“, Juli 2012, 16,7 Bill. €, und Monatsbericht Oktober 2019, II Bankstatistische Gesamtrechungen, Seite 10, „Kredite an Nichtbanken“, Juli 2019, 18,6 Bill. €.

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Eine Antwort zu Vermittler oder Schöpfer

  1. Nichtökonom sagt:

    Der Faden ist alt, aber spannend. Als Elektromensch bitte ich um Nachsicht, falls ich Unfug posten sollte.
    1) Die Frage, ob eine Bank (GB) Spareinlagen zur Kreditvergabe braucht, ist m.E. falsch gestellt. Auch wenn es etwas erbsenzählerisch rüberkommt: Den Kredit (etwa „Vertrauenswürdigkeit“) muss ich bereits haben, bevor ich ein Darlehen (Geld) bekomme.
    Unter der Annahme, die Antwort ist Ja (GB braucht Spareinlage), ist das Benötigte doch eines: Gesetzliches Zahlungsmittel. – Erste Korrektur der Frage: Braucht die Bank GZ(!)?
    Annahme ist Ja: Dann bekommt sie das Zentralbankgeld direkt von der Zentralbank und braucht keine Spareinlage. Die GB sind die einzigen, die Zentralbankgeld (als Kontoguthaben oder verbrieft als Banknote) von der ZBK bekommen.
    Jetzt wird es lustig: Woher hätte dann der Spare die Banknote? Als Lohn vom Chef, der hat`s von einem Kunden, …, …, der hat`s von der GB -nicht als Geschenk, sondern- als Darlehen(!) bekommen. Und woher hatte die GB die Banknote? Als Darlehen(!) von der ZBK bekommen!
    Die Vorstellung, die Einlage des Sparers sei immer schon „irgendwie“ dagewesen, ist einfach nur falsch. Auch diese Spareinlage ist bereits eine Schuld der GB an die ZBK, und die ZBK schuldet der GB die Rückgabe des Pfandes. Die Vorstellung, der Sparer hätte irgendwas, das die GB nicht schon längst der ZBK schuldet, könnte bestenfalls noch für das Nettogeld (Münze) gelten (was zu untersuchen wäre).
    Braucht die GB nun ZBK-Geld? Klar, solang es es eine Mindestreserve gibt! Diese MR ist nunmal ZBK-Geld und kommt immer von der ZBK, direkt oder über den Umweg mit dem „Einleger“. Also nicht einmal GZ (verbriefte Schuld, Papier, Banknote) braucht die GB. Guthaben in der ZBK tut es genauso.
    2) Aus dem Nichts kann die GB kein (Giral-) Geld schöpfen. Sie braucht immer ein Aktivum (einen Vermögenswert) dazu. Hat sie den bekommen (Immo, Wertpapier, Darlehensvertrag), muss sie, sofern der Kunde den Kaufpreis nicht in Empfang nehmen will, auf der Passivseite ihre „Schuld“ dem Kunden gegenüber dokumentieren. – Um einzugestehen, dass man jemandem GZ schuldet, braucht man kein GZ zu haben.
    Erst, wenn der Darlehensnehmer über das bereitgestellte („versprochene“) Darlehen verfügt, ob Barauszahlung oder Überweisung, liefert die GB ZBK-Geld.
    Ein Experiment, das schon nach der Darlehensgewährung/ -bereitstellung beendet wird und nicht erfasst, was bei der Verfügung gebucht wird, sollte nicht erst genommen werden.
    Die GB zahlt gerne 3% Sparbriefzins, wenn sie 4% mit dem Geld machen kann, oder sich 4% ZBK-Zins damit spart.
    3) Darlehen sind refinanziert. Wie hoch die durchschnittliche Refinanzierungsquote aller vorhandenen Darlehen ist, lässt sich grob überschlagen. Vorschlag: Man nehme die ZBK-Geldmenge und setze sie zur gesamten Geldmenge in Relation. Wenn 10% ZBK-Geld (= Refinanzierungsgeld!) in der Geldmenge vorhanden ist, können die Darlehen nicht im Mittel mit 20% refinanziert sein.
    Die Anfangsrefinanzierung eines Darlehens kann 100% betragen. Die GB holt sich das Geld zu 5% von der ZBK und reicht es an den Kunden zu 10% weiter. Mit einer Laufzeit von 10 Jahren und Tilgung „am Stück“ am Ende der Laufzeit, könnte die GB innerhalb der Laufzeit ihre Schulden bei der ZBK begleichen und hätte die Tilgung am Schluss als Gewinn übrig. (Die 5% lasse ich mal weg). Die anfängliche Refinanzierungsquote von 100% würde dann jedes Jahr sinken, bis auf 0. Auch eine im Experiment statisch gemessene Refinanzierungsquote darf nicht für den dynamischen Verlauf herangezogen werden.
    Also braucht die Bank ZBK-Geld für die Mindestreserve und ihren Handlungsspielraum, dieses kann sie von der ZBK bekommen, aber sie braucht nicht die Darlehenssumme in ZBK-Geld. Mit 5X Mindestreservesatz läuft das Spiel fleißig weiter.

    Schönen Gruß an alle, die auf dieser spannenden Seite gepostet haben!
    Nichtökonom

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