#1: UNSER GELDSYSTEM Author: Neuer, Location: Lübeck Posted: 14 May 2010 17:28
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UNSER GELDSYSTEM
Teil 1I. Vorab
Ich habe diesen Text begonnen, als es bei wirtschaftquerschuss um unser Geldsystem ging. Ursprünglich wollte ich nur kurz zusammenfassen, was ich als meinen heutigen Kenntnisstand bezeichnen möchte. Er wurde länger und länger und schliesslich musste ich feststellen, dass es hier wohl besser aufgehoben ist (Grüsse an TOURIST :O) ).
Lange habe ich nicht verstanden, wie unser Geldsystem funktioniert und welche Rolle es in unserer Wirtschaft spielt. Erst in den letzten Jahren habe ich mich damit auseinandergesetzt. Ich habe dabei feststellen müssen, dass sich gängige Meinungen darüber entweder als komplett falsch (meist bei wirtschaftlich weniger gebildeten Menschen), oder als voller Widerspüche und mit Lücken behaftet (meist bei Ökonomen) erwiesen haben.
Heute glaube ich das System verstanden zu haben. Ich bin mir aber nicht hundertprozentig sicher, denn viele Informationen sind nur schwer zu bekommen, oder werden von vielen Experten entweder nicht anerkannt, als nicht relevant beurteilt, oder bestimmte (vermeintliche) Tatsachen geleugnet. Dennoch formuliere ich meine Gedanken und Erkenntnisse zu diesem Thema nicht als These, da ich mittlerweile überzeugt bin, dass sie zumindest in wesentlichen Teilen der Wirklichkeit recht nahe kommen.
Mitte der 90er Jahre habe ich einige kurze Gespräche mit einem Freund meines Bruders geführt, der bei Morgan Stanley als Investmentbanker tätig war. Viel mochte er nicht darüber sprechen, aber zwei Sätze sind mir in Erinnerung geblieben, die ich damals falsch interpretiert, heute aber glaube, verstanden zu haben:
1. „Das ganze System beruht auf Schulden.“
2. Sinngemäss ähnlich dem oft zitierten Ausspruch von Henry Ford, dass wenn die Leute wüssten, wie es sich mit dem Geld verhält und was mit „ihrem“ Geld geschieht, es keine fünf Minuten dauern würde, bis sie auf der Strasse seien und wir eine Revolution hätten.
Ich denke, mehr Menschen müssten sich mit diesem System befassen, oder sich überhaupt an einer Diskussion beteiligen.
Es geht mir nicht darum, zu diskutieren, was anstelle des jetzigen Systems treten müsste. Es wäre meiner Ansicht nach wichtig, überhaupt erst einmal ein Bewusstsein für die Bedeutung zu schaffen und auch andere Menschen auf dieses so wichtige Element, das uns alle betrifft, und um das wir uns alle so wenig kümmern, hinzuweisen.
Was ich im folgenden beschreibe ist nichts anderes, als ein Versuch die Thematik auf einen einfachen Nenner zu bringen (ich hoffe mir sind dabei auf die Schnelle keine blöden Fehler unterlaufen). Am Ende des Textes finden sich Artikel verschiedener Autoren zu dem Thema, die jeder bitte lesen sollte. Erst dann ergibt sich ein genaueres Bild, das ich hier unmöglich zeichnen kann...
II. Einleitung
„Das Ende der Kreditexzesse, Gelderschaffung ohne Wertschöpfung, Spekulation statt Produktion, zukünftiger Rohstoff- und Energiemangel (Peak Oil-Gas-Uranium) und ein dramatischer Klimawandel als deutliche Warnungen vor einem "Weiter so"!
"Jeder der glaubt, dass exponentielles Wachstum in einer endlichen Welt für immer weitergehen kann, ist entweder verrückt oder ein Wirtschaftswissenschaftler." Kenneth Boulding
Die meisten Menschen hinterfragen unser auf Wachstum basierendes Wirtschaftssystem nicht. Einige wenige tun es, aber von diesen wenigen hinterfragen wiederum nur wenige das diesem Wirtschaftssystem zugrunde liegende Geldsystem, das es ermöglicht, ausreichend Liquidität zur Verfügung zu stellen und brachliegende Produktionspotenziale freizusetzen. Vermeintlich ein Segen, kommt man bei näherer Betrachtung zu dem Ergebnis, dass dieses Geldsystem ein erhebliches Problem darstellt, das über die reinen Probleme einer auf Wachstum ausgerichteten Wirtschaft hinausgeht.
Die weltweit zu beobachtenden Symptome der Überschuldung, die schleichend über Jahrzehnte gewachsen, erst in den letzten Jahren eine für jeden sichtbare explosionsartige Entwicklung genommen haben, sind letztlich die Ursache dieses Geldsystems.
Liegen die Ursachen ausschliesslich in diesem Geldsystem begründet? Nein. Aber zu einem wesentlichen Teil. Die Probleme, die es hervorruft sind gewaltig und die allermeisten Menschen sind sich nicht bewusst, dass es sich um ein System handelt, das Geldvermögen umverteilt, Staaten und Menschen in Verschuldung und Armut treibt, während andere sich an ihm bereichern.
Die Symptome können wir alle lange schon beobachten, die dahinter verborgenen Mechanismen aber haben nur wenige verstanden.
Die Frage, was zuerst da war, ein Geldsystem, das exponentielles Wachstum der Wirtschaft voraussetzt, oder ein auf Wachstum basierendes Wirtschaftmodell, das ein entsprechendes Geldsystem erfordert, gleicht der Frage mit der Henne und dem Huhn. Ich kenne die Antwort nicht.
Aber die Worte, die als Leitspruch Steffens Blog überschreiben, treffen so oder so zu.
III. Zins und Geldschöpfung
Die grundlegenden, die Probleme verursachenden Elemente unseres Geldsystems sind
a. Der Zins
Über den Zins kann man trefflich streiten. Dass der Zins Probleme verursachen kann, dürfte jedem spätestens dann klar werden, wenn er sich die Entwicklung einer verzinsten Geldmenge in verschiedenen Grössenordnungen betrachtet. Gerne wird auf die Wertminderung des Geldes hingewiesen, das Risiko des Verlustes etc...
Dazu sei nur angemerkt, dass z.B. der Realzins in der BRD in den 40 Jahren von 1955 – 1994 bei durchschnittlich 4% lag (Quelle: Uni Münster).
Ausserdem würde niemand bestreiten, dass andere Zinseinkünfte wie Miet-, oder Pachtzins genauso aufgrund ungleichmässiger Eigentumsverhältnisse früher oder später den Eigentümer begünstigen und den Mieter/Pächter benachteiligen.
Sehr schön formuliert hat das „Sebastian“ in einem Kommentar zu Festan's Artikel im querschuss („what is money“, s. Quellen):
"Eigentum wird von Schuldnern zu Gläubigern ("von unten nach oben") umverteilt, wenn die Kosten für die Erhaltung des Eigentums geringer sind als die Profite aus demselben und diese Differenz (pro Periode) größer als das in derselben Periode für die Schuldner zusätzlich zur Verfügung stehende Eigentum ist."
Es gibt daneben auch zahlreiche Publikationen, die den Zins und seine Wirkungsweise mathematisch untersucht haben und zu eben diesem Schluss gekommen sind. Viele behaupten, es habe den Zins schon immer gegeben und er habe nie ein Problem verursacht.
Das ist ein Irrtum. Der Zins war über Jahrhunderte verboten und die meisten europäischen Staaten haben ihn erst vom 16. bis zum 18. Jahrhundert offiziell zugelassen. Die grossen Weltreligionen haben den Zins geächtet und die Katholische Kirche hat bis zum Ende des 19. Jahrhunderts vergeblich dagegen angekämpft. Auch was die angeblich nicht vorhandenen Probleme betrifft genügt ein Blick ins Geschichtsbuch...
Allerdings ist der Zins NICHT die alleinige Ursache, sondern nimmt in diesem System eher die Form eines Katalysators ein, der in Verbindung mit dem zweiten Element erst seine ganze Wucht entwickelt.
b. Die Art der Geldschöpfung durch Banken
Die wenigsten verstehen, wie das Geld wirklich entsteht. So mancher hat das sehr gut beschrieben, viel besser als ich das könnte (es finden sich am Ende des Textes genügend Quellen, die man studieren kann). Daher möchte ich es nur kurz und sehr vereinfacht umreissen.
Unser Bankensystem ermöglicht es einer Bank, Geld aus dem NICHTS zu schöpfen. Geld, das sie im Rahmen eines Kredites vergibt, existiert nur zu einem Teil. Der Rest wird „neu geschaffen“.
Das ermöglicht es, dem wachsenden Geldbedarf einer wachsenden Wirtschaft gerecht zu werden. Der Segen einerseits erweist sich als Fluch, wenn man die Funktion und die Auswirkungen genauer betrachtet.
Denn nicht nur muss das Geld, das bis dahin nicht existierte, erwirtschaftet werden, sondern zudem noch der Zins, den die Bank für das eigentlich nicht existierende Geld verlangt.
Dabei sichert sich die Bank darüber hinaus einen Rechtsanspruch auf vorhandenes Eigentum des Kreditnehmers für den Fall, dass dieser seine Schuld nicht tilgen kann.
Ein feiner Kniff, den niemand in Frage stellt, der als vollkommen normal empfunden wird. Und von dem behauptet wird, dass es immer schon so gewesen sei. Man kann sich anhand zahlreicher Quellen aber recht schnell überzeugen, dass dies ein Irrtum ist. Das Prinzip der Geldschöpfung aus dem NICHTS (durch Banken) wurde im 17. Jahrhundert entwickelt und bis heute beständig „verfeinert und verbessert“.
Um zu veranschaulichen (allerdings nur sehr unzureichend, weil kaum auf andere Bereiche zu übertragen – ist das vielleicht der Grund, warum die meisten sich schwertun, es zu verstehen?), wie absurd diese Vorgehensweise eigentlich ist, folgende Beispiele:
Niemand wäre bereit, einen vollen Mietzins für eine Wohnung zu begleichen, die nur zum Teil existiert. Und erst recht wäre niemand bereit, für die Nutzung einer nur zum Teil existierenden Wohnung in vollem Umfang mit anderem Vermögen zu haften, also einem Vermieter den Rechtsanspruch auf dieses Eigentum zu übertragen.
Oder anders:
Niemand würde es akzeptieren, wenn es einem Geschäft erlaubt wäre, ZEHN Hämmer zu verleihen, von denen aber in Wirklichkeit nur einer existiert, und dieses Geschäft von demjenigen, der sie ausleiht verlangt, ZEHN Hämmer zurückzubringen PLUS einen Zins von EINEM Hammer, also ELF. Und es dem Geschäft zusätzlich noch erlaubt wäre, von dem, der sie ausleiht, eine Sicherheit zu verlangen, die zumindest einen Teil des Wertes der Hämmer beträgt...
Beim Geld tun wir das alle. Aber nur die wenigsten scheinen sich dessen bewusst zu sein oder dieses Prinzip überhaupt in Frage zu stellen.
Ein weit verbreiteter Irrglaube ist, dass ein „Sparer“ 100,- € zur Bank bringt, er dafür Zinsen erhält (bspw. 5%), und die Bank diese Einlage verwendet, um sie anderen für Investitionen zur Verfügung zu stellen und dafür wiederum einen Zins (bspw. 10%) nimmt.
In Wahrheit (sehr vereinfacht...) nimmt die Bank die Einlage von 100,- € und ist damit in der Lage einen Kredit in Höhe von 1.000,- € zu vergeben und einen Zins (bspw. 10%) zu nehmen. Je nach Laufzeit etc. und anderen Geldsummen kann sich jeder recht schnell den Unterschied vor Augen führen.
Wer das Prinzip der Geldschöpfung nicht versteht, MUSS sich damit vertraut machen. Es ist ein Schlüssel zum Verständnis der Problematik. Quellen zu dem Thema finden sich am Ende des Textes (u.a. FESTAN's Gastbeitrag im wirtschaftquerschuss).
Wer sich damit nicht auseinandersetzen möchte, KANN es nicht verstehen.
IV. Eine Art Schneeballsystem
„Kaiser:
Ich habe satt das ewige Wie und Wenn;
Es fehlt an Geld: nun gut, so schaff es denn!
Mephistopheles:
Ich schaffe, was ihr wollt, und schaffe mehr;
Zwar ist es leicht, doch ist das Leichte schwer;
Es liegt schon da; doch um es zu erlangen,
Das ist die Kunst, wer weiß es anzufangen?“
(J. W. von Goethe, Faust II)
Unser Geldsystem ist ein Schuldgeldsystem. Wird ein Kredit vergeben, entsteht neues Geld, wird er getilgt, verschwindet es wieder. Es müssen also stets neue Kreditnehmer nachfolgen, wenn dieses System funktionieren soll.
Es handelt sich demnach um einen dem Schneeballsystem vergleichbaren Mechanismus. Wie auch beim Schneeballsystem treten die Probleme erst später auf. Zu Beginn des Spiels funktioniert es noch tadellos. Je länger es aber dauert, desto grösser wird die Anzahl der Verlierer und desto geringer die der Gewinner.
Im Gegensatz zu diesem Spiel allerdings werden hier mithilfe des Geldes Werte geschaffen, Waren produziert, Handel getrieben usw. Da aber nichts ohne dieses Geld funktioniert, beginnt der Motor zu stottern, sobald Probleme dabei auftauchen, immer neue Nachschuldner zu finden. Es handelt sich um einen schleichenden Prozess, und selbstverständlich ist das Konstrukt wesentlich komplizierter und facettenreicher, als ein letztlich auf simpelsten Prinzipien beruhendes Spiel. Aber die Funktionsweise ist ähnlich.
Die Wirtschaft verfügt demzufolge eben nicht nur über einen „Wachstumsdrang“, sondern unterliegt, durch unser Geldsystem, auch einem „Wachstumszwang“.
Dass unser Geldsystem die Züge eines Schneeballsystems trägt, wurde lange Zeit vehement bestritten. Erst in jüngster Zeit sind erste Stimmen zu vernehmen, die das nicht mehr nur unter vorgehaltener Hand bestätigen. Im März dieses Jahres zum ersten Mal ein Bundespolitiker (Frank Schäffler - FDP ):
http://www.frank-schaeffler.de/presse/medienspiegel/1187 (Übrigens konnte ich den Artikel unter
www.sueddeutsche.de/ nicht mehr finden...) Dort heisst es:
„Die Ursachen der Überschuldungskrise liegen im Geldsystem ... Das Schneeballsystem wird früher oder später zusammenbrechen. Wir müssen deshalb über eine neue Geldordnung nachdenken.”
Dem einerseits willkommenen Effekt der Geldschöpfung, die Märkte ausreichend mit Liquidität zu versorgen, steht eine mehr als fragwürdige Methodik gegenüber, die mithilfe des Zinses einen stetigen Abfluss eines Teils der real erwirtschafteten Werte in die Hände von Banken und Kapitalgebern zur Folge hat.
Denn wir alle müssen die Zinsen, die ein Unternehmen im Rahmen eines Kredites zu zahlen hat, erwirtschaften, da der Zins in den Preis des Produktes einfliessen muss.
Der Unterschied zu anderen Zinsen, wie z.B. Pacht oder Miete liegt auf der Hand. Während dort nur diejenigen einen Zins bezahlen, die eine Wohnung auch nutzen (oder ein Grundstück), bezahlen ALLE die anfallenden (versteckten) Zinsen mit, egal, ob sie Schulden aufgenommen haben, oder nicht.
Fatal, wird es spätestens dann, wenn das Wachstum der Wirtschaft unter dem durchschittlichen Zinssatz liegt. Dann muss der Staat als Schuldner einspringen, wenn er eine Rezession verhindern will. Wie gross die Auswirkungen sind, sehen wir anhand der Verschuldung in Deutschland. Allein der Bund musste im Jahr 2008 Steuereinnahmen in Höhe von mehr als 43 MILLIARDEN € für die Tilgung von Zinsen aufwenden. Das entspricht etwa 15% des gesamten Haushaltes (der zweithöchste Etat) oder 11% des BIP!
43 MILLIARDEN €, die allein in einem Jahr an Banken und Kapitalgeber umverteilt werden. Und das mittels Krediten, denen zumindest ein Teil aus der Luft erzeugtes Geld zugrunde liegt und für das jeder Bürger eines Landes mit seinem Vermögen haftet.
(Interessant wäre es, den GESAMTBETRAG zu errechnen, den deutsche Bürger als Steuerzahler in den letzten 50 Jahren für auf Staatschulden fällige Zinsen bezahlen mussten. Leider kann ich dazu keine Informationen finden. Ob dann allerdings wirklich jemand Westerwelle ungestraft über schneeschippende Hartz IV – Empfänger fantasieren dürfte, wage ich zu bezweifeln.)
Auch hier bezahlen ALLE, auch die, die angeblich keine Steuern zahlen, wie so gerne behauptet wird, nämlich die Ärmsten, die zwar keine Einkommensteuer, wohl aber über den notwendigen Konsum von Lebensmitteln, Kleidung, Strom usw. sehr wohl Steuern abführen müssen.
Den stetig steigenden Schulden stehen andererseits stetig steigende Vermögen gegenüber, deren Zinsen beglichen werden wollen. Spätestens jetzt dürfte klar werden, dass die Unsummen die dafür aufgebracht werden müssen, nicht mehr erwirtschaftet werden können. Wie sich die Situation tatsächlich darstellt, wenn die Zinsen steigen sollten, darüber sollte man besser nicht nachdenken.
Man betrachte die Entwicklung BIP und Geldvermögen in Deutschland 1950-2000:
http://www.inwo.de/pics/Creutz22Euro_300.jpg Oder folgende Zahlen der Geldvermögen in den USA (Alexander Czerny - Kurzbeschreibung der aktuellen Finanzkrise):
„Nachdem die erste Billion 1977 nach einigen hundert Jahren Wachstum erreicht war, schaffte es die zweite Billion bereits 1984, nach nur 7 Jahren. Nach weiteren sechseinhalb Jahren waren dann 3 Billionen erreicht, nach weiteren sechs Jahren 4 Billionen (1997). Jede weitere Billion wächst in immer kürzeren Zeiträumen:
5 Billionen nach nur 2 Jahren und 11 Monaten,
6 Billionen nach nur 2 Jahren und 8 Monaten,
7 Billionen nach nur 1 Jahr und 10 Monaten,
8 Billionen nach nur 1 Jahr und 8 Monaten,
9 Billionen nach nur 1 Jahr und 4 Monaten,
10 Billionen nach nur 1 Jahr und 3 Monaten
11 Billionen nach nur 4 Monaten (Dezember 2008)!!"