Autor Thema: Lösung der Klimakrise im Rahmen der Zusammenbruchskrise des Kapitalismus  (Gelesen 24120 mal)

Halil

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Im zweiten und im dritten Teil der Studie „Lösung der Klimakrise im Rahmen der Zusammenbruchskrise des Kapitalismus“ ( http://www.shaker.de/shop/978-3-8322-9943-9 und http://www.um-bruch.net/uforum/index.php?topic=48.0 ) vertrete ich die Ansicht, dass auf den Bankrott der wichtigsten Staaten der Welt eine globale Umwälzungsepoche folgt und die Klimakrise unter den historischen Bedingungen der Zusammenbruchskrise des Kapitalismus gelöst werden muss. Als Auftakt zu dieser Studie habe ich im Sommer 2009 im alten Querschüsse-Forum ein Thesenpapier zur Klimakrise formuliert, das ich unten wiedergebe. Ich hoffe, dass dieses Thesenpapier auch in diesem Forum auf reges Interesse stößt.

Halil Güvenis


Frage: Sich über das „Wie weiter?“ nach dem Bankrott der wichtigsten Staaten Gedanken zu machen, begrüße ich sehr. Und auch diese Situation in den Rahmen der ökologischen Krise zu stellen, finde ich unerlässlich.

Antwort: Ich finde auch, dass die Klimakrise in den Rahmen der Weltwirtschaftskrise gestellt werden sollte. – In diesem Zusammenhang möchte ich erwähnen, dass der hier vorgelegte Wirtschaftsartikel im Rahmen eines „korrekten Rettungsszenarios in der globalen Klimakrise“ entstanden ist. Von daher möchte ich im Folgenden gerne versuchen, die Zukunftsprognose in meinem Wirtschaftsartikel fortzusetzen und einige Thesen zur Lösung der Klimakrise zu formulieren… Das Thesenpapier, das ich vorlege, ist nicht programmatisch bis ins Detail ausgearbeitet; im heutigen Stadium der Entwicklung scheint das unmöglich zu sein. Trotzdem hoffe ich, dass mein relativ kurzes Thesenpapier zur Klimakrise auf reges Interesse stößt und unverständliche Stellen im Text in Diskussionen geklärt werden können.
 

Vor oder nach dem globalen Staatsbankrott?
 
Wir erleben eine doppelte Krise – Weltwirtschafts- und Klimakrise, die uns in den nächsten Jahrzehnten bis zum äußersten herausfordern werden. Die Schwierigkeit der Problematik liegt darin, dass für beide Krisen gleichzeitig eine Lösung gefunden werden muss. Obwohl sich viele Klima-Aktivisten in diesem Punkt einig sind, herrscht darüber Unklarheit, ob die Lösung der Klimakrise vor oder nach dem globalen Staatsbankrott gesucht werden muss. Ich stehe auf dem Standpunkt, dass die Weltwirtschaftskrise unumgänglich auf den globalen Staatsbankrott zusteuert und daher jede realistische Lösung des Klimaproblems jenseits vom Staatsbankrott liegt.

Gründe für die doppelte Krise
 
Der Hauptgrund für die Doppelkrise liegt im gegenwärtigen Zustand des Kapitalismus. In den letzten achtzig Jahren hat sich der Kapitalismus zu einem Wirtschaftssystem entwickelt, das unersättlich nach Wachstum und Konsum drängt. Um den Teufelskreis von Wachstum und Konsum aufrechtzuerhalten, scheuen die Menschen nicht davor, den Staat und die Umwelt tief in Schulden zu stürzen. Der Staat wird verschuldet, um den fehlenden Gesamtkonsum zu finanzieren; die Umwelt wird verschuldet – verschmutzt –, um sich vor den Folgekosten einer Abfallbeseitigung zu drücken. So ist es nicht erstaunlich, dass der Staat und die Umwelt auf Dauer diese Belastung nicht ausgehalten haben und an ihrer schwächsten Stelle (am Finanzmarkt bzw. am Klimawandel) kaputt gehen – den Bankrott erklären –.
 

Die Bedeutung des globalen Staatsbankrotts für die Klimakrise

Kommt es in den nächsten Jahren zum globalen Staatsbankrott, dann wird das eine derart elementare kollektive Erfahrung sein, dass die gesamte Weltbevölkerung bereit sein wird, althergebrachte Wertvorstellungen über Bord zu werfen und ein neues Wirtschaftssystem zu schaffen… Waren bis zum globalen Staatsbankrott Wachstum und Konsum Hauptsorgenkinder der Wirtschaft, so wird das nach dem Staatsbankrott nicht mehr der Fall sein. Das ständig zu hörende Argument, man könne doch für die Klimapolitik finanziell nur das hergeben, was Wachstum und Konsum erlauben, wird vom globalen Staatsbankrott an nicht mehr von Bedeutung sein. Mit der Schaffung eines neuen Wirtschaftssystems, das vom Negativwachstum und von schrumpfenden Nettoinvestitionen ausgeht, wird das Schuldenproblem endlich an der Wurzel gepackt werden können. Dabei werden Staats- und Klimaschulden als gleichberechtigte Themen behandelt und für beide Probleme gleichzeitig eine Lösung gesucht werden.

Lösung der Schuldenfrage durch einmalige, proportionale Vermögenssteuer
 
Um die Altschulden aller Staaten auf der Erde zu tilgen, habe ich bei der Zukunftsprognose in meinem Wirtschaftsartikel vorgeschlagen, weltweit eine Umschuldungsaktion vorzunehmen und durch eine einmalige proportionale Vermögenssteuer die Schuldenfrage ein für allemal aus der Welt zu schaffen… Nun möchte ich diesen Lösungsvorschlag erweitern: Ich behaupte, diese Lösung wird nicht nur die Altschulden aller Staaten auf der Erde tilgen, sondern auch die Klimaschulden beseitigen helfen, die in Form von gefährlichen Treibhausgasen in der Atmosphäre das Schicksal der Menschheit bedrohen. Genauso wie die Staatsschulden gemäß dem Verursacherprinzip je nach Land und Vermögensstand global und historisch einzelnen Menschengruppen zugeordnet werden, werden die Klimaschulden global und historisch einzelnen Nationen und Personengruppen zur Last gelegt und damit für die Lösung des Klimaproblems eine gerechte und von allen Menschen akzeptable finanzielle Grundlage geschaffen.
 
Selbstverwaltete Großbetriebe – Vorreiter und Antreiber in der Klimapolitik

Bei der Zukunftsprognose in meinem Wirtschaftsartikel habe ich ausgeführt, dass die einmalige, proportionale Vermögenssteuer eine Vermögensstruktur erzeugt, die die Übernahme der Großbetriebe durch ihre Belegschaft notwendig macht… Ich möchte nun darauf hinweisen, dass diese notwendige Maßnahme nicht nur volkswirtschaftlich, sondern auch klimapolitisch von entscheidender Bedeutung ist.
 
Mit der Schaffung einer gerechten und von allen Menschen akzeptablen finanziellen Grundlage ist die Klimapolitik noch nicht erschöpft. Vor allem die Manipulationsbemühungen der internationalen Konzerne gegen eine wirksame Klimapolitik müssen aus dem Weg geräumt werden. Die Konzerne sehen nämlich durch eine „übertriebene Klimapolitik“ ihre Gewinne und Investitionen sowie ihre gesamte Technologie-Entwicklung in Gefahr… Gehen die Großbetriebe nach der einmaligen proportionalen Vermögenssteuer als notwendige Maßnahme in die Hände der unmittelbaren Produzenten über, so fallen die Manipulationsbemühungen der internationalen Konzerne automatisch weg. Da in der neuen Ära Wachstums- und Gewinnstreben keine entscheidende Rolle mehr spielen werden, wird auch dieser Faktor als treibendes Motiv der Entwicklung wegfallen. Hauptakteure des neuen Wirtschaftslebens werden die selbstverwalteten Großbetriebe sein, die in der Klimapolitik eine einmalige Vorreiter- und Antreiberrolle übernehmen werden. Die Umstellung der gesamten Wirtschaft auf erneuerbare Energien und auf entsprechende Produktions- und Konsumtechniken (= auf umweltverträgliche, klimafreundliche Basisinnovationen!) wird nur durch ihre aktive Teilnahme möglich sein. Vor allem, wenn die selbstverwalteten Großbetriebe ihre Organisationsformen voll entfaltet haben, werden sie für die Demokratiesuche in der Gesellschaft ein großes Vorbild sein und der Klimapolitik eine breite, organisierte Massenbasis zur Verfügung stellen.
 
Reorganisierung des politischen Lebens nach globalen, historischen und kollektiven Menschenrechten

Allein mit der Erfüllung der ökonomischen und organisatorischen Bedingungen kann das Klimaproblem nicht adäquat gelöst werden; auch politische Bedingungen müssen erfüllt werden… Die korrekten Maßnahmen, die in der Klimapolitik ergriffen werden, sind nicht von lokaler Art und werden nicht unmittelbar zum Wohle der Individuen ergriffen. Sie sind globale, historisch notwendige Maßnahmen und dienen dem kollektiven Wohl der gesamten Menschheit. Von daher sind unsere Nationalstaaten, die auf lokalen, unmittelbaren und individuellen Menschenrechten des eigenen Volkes basieren, keine geeigneten Instrumente, um die Klimapolitik effektiv zu führen.
 
Wir sind in die Klimakrise geraten, weil unsere lokalen, unmittelbaren und individuellen Menschenrechte nicht ausreichen, die globalen, historischen und kollektiven Gefahren zu erkennen und zu vermeiden. Wenn wir die Klimakrise lösen wollen, müssen wir daher über den Nationalstaat hinaus, der ein Instrument der lokalen, unmittelbaren und individuellen Menschenrechte ist, den internationalen Staat gründen, dessen Aufgabenbereich durch globale, historische und kollektive Menschen- und Naturrechte definiert ist. Dabei sollen die lokalen, unmittelbaren und individuellen Menschenrechte nicht aufgehoben werden, sondern in Nationalstaaten als untergeordnete Rechtsgrundlage weiter bestehen.
 
Die selbstverwalteten Großbetriebe, die im neuen Zeitalter an die Stelle der internationalen Konzerne treten werden, müssen auch bei der Reorganisierung des politischen Lebens als Vorbild dienen. Sie repräsentieren nämlich in einem kleineren Maßstab den zu gründenden internationalen Staat. Sie sind sozusagen der lokal, unmittelbar und individuell organisierte Nationalstaat und der global, historisch und kollektiv agierende internationale Staat in ein- und derselben Organisationsform. Es wird enorm wichtig sein, die Organisationsprinzipien der selbstverwalteten Großbetriebe auf den internationalen Menschen- und Naturstaat zu übertragen. – Erst dann wird sich der Kreis in der Klimafrage schließen.



Eurelios

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Hallo Halil,
 schöne Gedanken von Dir aber ich befürchte daß das Ganze so nicht funktionieren wird. Weil der Mensch so ist wie wer ist nähmlich
nur an sich selber denkend. Bis auf ganz wenigen Ausnahmen wie zum Beispiel Gandi oder Mutter Theresa.

Du schreibst:

Lösung der Schuldenfrage durch einmalige, proportionale Vermögenssteuer
 
Um die Altschulden aller Staaten auf der Erde zu tilgen, habe ich bei der Zukunftsprognose in meinem Wirtschaftsartikel vorgeschlagen, weltweit eine Umschuldungsaktion vorzunehmen und durch eine einmalige proportionale Vermögenssteuer die Schuldenfrage ein für allemal aus der Welt zu schaffen… Nun möchte ich diesen Lösungsvorschlag erweitern: Ich behaupte, diese Lösung wird nicht nur die Altschulden aller Staaten auf der Erde tilgen, sondern auch die Klimaschulden beseitigen helfen, die in Form von gefährlichen Treibhausgasen in der Atmosphäre das Schicksal der Menschheit bedrohen. Genauso wie die Staatsschulden gemäß dem Verursacherprinzip je nach Land und Vermögensstand global und historisch einzelnen Menschengruppen zugeordnet werden, werden die Klimaschulden global und historisch einzelnen Nationen und Personengruppen zur Last gelegt und damit für die Lösung des Klimaproblems eine gerechte und von allen Menschen akzeptable finanzielle Grundlage geschaffen.


Bei den unterschiedlichen Blöcken weltweit die nur ihre eigenen Intressen sehen sage ich zu 99,9999%  wird das nicht gemacht.

Es wird zu einem Verteilungskampf kommen der so hässlich sein wird wie wir es uns garnicht vorstellen können. Leider  :o


Viele Grüße aus Owen an der Teck von

Günter

Halil

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Hallo Eurelios,

Zitat
Es wird zu einem Verteilungskampf kommen der so hässlich sein wird wie wir es uns garnicht vorstellen können. Leider

Selbstverständlich wird es nach dem wirtschaftlichen Zusammenbruch zu einem unvorstellbaren Verteilungskampf kommen. Du hast, langfristig gesehen, wohl recht mit deinen Vorstellungen über gesellschaftlichen Zerfall. Ich möchte aber in diesem Zusammenhang auf einen sehr wichtigen Punkt hinweisen: Die von dir genannten Kräfte können, kurzfristig gesehen, nicht so schnell die gesellschaftlichen Prozesse erfassen. In der Phase nach dem globalen Staatsbankrott werden wahrscheinlich aufgrund des Vertrauensschwunds sämtliche Wirtschaftsbereiche auf der Welt stillstehen. Um die Räder wieder in Gang zu bekommen, muss in dieser Situation schnellstens gehandelt werden. Man wird nicht viel Zeit haben, ein oder zwei Neustartversuche, bis man den richtigen Weg gefunden hat, wird es sicher geben. Ich vermute aber, dass zum Schluss Einsicht in die Notwendigkeit Oberhand gewinnen wird… Wenn diese Neustartversuche nicht funktionieren sollten, dann würden die von dir genannten sozialen und politischen Folgen des wirtschaftlichen Zusammenbruchs erst richtig am Horizont sichtbar werden… Wie gesagt, das alles ist eine Vermutung von mir – beim heutigen Stand der Kenntnisse scheint es mir am naheliegendsten zu sein.

Herzliche Grüße aus dem sonnigen Istanbul

Halil
 

Mumken

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Hallo Halil.

Du schreibst:


..........
Man wird nicht viel Zeit haben, ein oder zwei Neustartversuche, bis man den richtigen Weg gefunden hat, wird es sicher geben. Ich vermute aber, dass zum Schluss Einsicht in die Notwendigkeit Oberhand gewinnen wird… Wenn diese Neustartversuche nicht funktionieren sollten, dann würden die von dir genannten sozialen und politischen Folgen des wirtschaftlichen Zusammenbruchs erst richtig am Horizont sichtbar werden… Wie gesagt, das alles ist eine Vermutung von mir – beim heutigen Stand der Kenntnisse scheint es mir am naheliegendsten zu sein.

......

Meiner Einschätzung nach siehst Du das sehr optimistisch. Besonders wenn Du sagst  "Ich vermute aber, dass zum Schluss Einsicht in die Notwendigkeit Oberhand gewinnen wird…" habe ich so meine Zweifel. Der Weltgemeinschaft zu unterstellen, das sie die Fähigkeit  habe Einsicht zu zeigen, halte ich für sehr gewagt. Einfacher ist es doch, wenn alles zerstört wird und danach wieder genügend Potential für ein weiteres,  einige Jahrzehnte andauerndes Wachstum vorhanden ist. Hierfür bietet die Geschichte Deutschlands nach dem zweiten Weltkrieg doch eine eindrucksvolle Vorlage.

Ich würde mir wünschen, dass Du trotzdem mit Deiner Vermutung richtig liegst; allein der Glaube fehlt mir.

Gruß aus der jetzt auch sonnigen Eifel,

Rudi


Halil

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Zitat
Hierfür bietet die Geschichte Deutschlands nach dem zweiten Weltkrieg doch eine eindrucksvolle Vorlage.


Die Geschichte Deutschlands nach dem zweiten Weltkrieg ist kein geeignetes Beispiel für die von mir beschriebene Umwälzungsepoche. Ein sehr gutes Beispiel hingegen ist die Französische Revolution! In jeder Etappe der Französischen Revolution zeigten die Massen die von ihnen erwartete Einsicht in die Notwendigkeit und trugen die Revolution zum nächsten Etappenziel! Genau nach diesem Vorbild entwickle ich "das optimistische Szenario" in meinem Buch "Lösung der Klimakrise im Rahmen der Zusammenbruchskrise des Kapitalismus" ( http://www.shaker.de/shop/978-3-8322-9943-9 ). 

Halil

Mumken

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Die Geschichte Deutschlands nach dem zweiten Weltkrieg ist kein geeignetes Beispiel für die von mir beschriebene Umwälzungsepoche. Ein sehr gutes Beispiel hingegen ist die Französische Revolution!
.........

Die Geschichte Deutschlands nach dem zweiten Weltkrieg sollte auch kein Beispiel für die von Dir erwartete Umwälzungsepoche sein, sondern eher eine bittere Erkenntnis aus der Weltgeschichte wiederspiegeln.  Nachdem alles zerstört war konnte es doch nur noch aufwärts gehen, mit wahnsinnigen Wachstumsraten. Es lebe das Wirtschaftswunder ;).

Bei Deinem Beispiel mit der französischen Revolution habe ich noch einige Verständnisprobleme. (Hierzu tragen vielleicht meine etwas mangelhaften Kenntnisse der Geschichte mit bei.)
Wurde nicht eine Gruppe der Gesellschaft und zwar die herrschende und besitzende Klasse der Barone, Herzöge und der König selbst durch das Schafott aus dem Weg geräumt und stand daher zur Findung einer neuen Ordnung überhaupt nicht mehr zur Verfügung?
Wen müssen wir in unserer heutigen Gesellschaft statt dessen "enteignen"?
Werden diese das denn mit sich machen lassen?
Dies sind nur einige Fragen, welche sich mir spontan stellen.

Rudi







Halil

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Hallo Mumken,

Zitat
Bei Deinem Beispiel mit der französischen Revolution habe ich noch einige Verständnisprobleme. (Hierzu tragen vielleicht meine etwas mangelhaften Kenntnisse der Geschichte mit bei.)
Wurde nicht eine Gruppe der Gesellschaft und zwar die herrschende und besitzende Klasse der Barone, Herzöge und der König selbst durch das Schafott aus dem Weg geräumt und stand daher zur Findung einer neuen Ordnung überhaupt nicht mehr zur Verfügung?


Ja, der französische Adel und Klerus wurde in den Jahren 1789-92 entmachtet und enteignet. Deshalb erfolgte in den Jahren 1792-94 die Intervention der europäischen Feudalmächte in Frankreich, woraufhin sich die Revolution durch Entfachung des totalen Krieges verteidigte. Bei diesen Ereignissen wurden mehr als 2000 Leute (unter anderem Adelige; der König und die Königin selbst) guillotiniert.

Zitat
Wen müssen wir in unserer heutigen Gesellschaft statt dessen "enteignen"?


Ich habe die Nettovermögensverteilungskurve für Deutschland schon einmal angeführt:


Aus Wikipedia,  Datei:Verm%C3%B6gensverteilung_Deutschland_2002_und_2007.svg, Lizenz: gemeinfrei, Autor: Wikipedia/Bundeszentrale für politische Bildung


Nach dieser Kurve besitzt das letzte Zehntel der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland 61 Prozent des Nettovermögens. Mein Vorschlag läuft darauf hinaus, etwa 40 Prozent des Volksvermögens ( 6,5 Billionen € x 0,4 = 2,6 Billionen € ) von dieser Vermögensklasse abzuziehen und zum Begleichen der Staats- und Auslandsschulden zu verwenden.

Zitat
Werden diese das denn mit sich machen lassen?


Nein, sie werden sich nicht ohne weiteres enteignen lassen. Sie werden fragen, mit welchem Recht wir das letzte Zehntel der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland enteignen?

Auf diese Frage kann es nur eine Antwort geben: Die Herausbildung des Nettovermögens von 2,6 Billionen € in den Händen des letzten Zehntels der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland war nur durch eine Staatsverschuldung in Höhe von 2 Billionen € möglich. Nur weil diese Summe dem Staat geliehen wurde, konnte das letzte Zehntel der erwachsenen Bevölkerung seit dem Zweiten Weltkrieg ein solches Vermögen zusammensparen. – Also kann der Staat nach dem globalen Staatsbankrott mit gleichem Recht diese Summe zurückfordern!

Beste Grüße aus Istanbul

Halil Güvenis
 
Änderung Admin 2.5.2012, Diagramm aus Wikipedia direkt eingefügt

« Letzte Änderung: 02. Mai 2012, 20:54:14 von Admin »

Eurelios

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Hallo Halil,

Du schreibst:

Also kann der Staat nach dem globalen Staatsbankrott mit gleichem Recht diese Summe zurückfordern!

Mit gleichem Recht? Um das zu verwirklichen müßten erst die Gesetzte hier in der BRD geändert werden und ich bin mir sicher
das nach einem Staatsbankrott die gleichen Mächte im Hintergrund die Fäden ziehen werden und dies nie zulassen werden.

Also bleibt doch nur noch die Guillotine.

Wenn es ums Geld bz dadurch um Macht geht wird der Mensch zum blutrüstigem Raubtier. Dies erlebe ich gerade in einer Sache
wegen einer Erbangelegenheit.

Ja das Geld das ist das ganz große Übel. Es ist schon, gelinde gesagt, erstaunlich wie dieses künstlich erschafftes Produkt
die Menschen in Griff hat. Die ganz Wenigen die das System ``Geld`` verstehen sind die, die im Hintergrund die Fäden ziehen
und alles versuchen werden das es so bleibt auch nach einem Zusammenbruch.

Viele liebe Grüße

Günter

   

Mumken

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Hallo Halil,

ich habe das Diagramm von der Vermögensverteilung direkt eingefügt. Wird so etwas übersichtlicher.


Ich habe die Nettovermögensverteilungskurve für Deutschland schon einmal angeführt:


Aus Wikipedia,  Datei:Verm%C3%B6gensverteilung_Deutschland_2002_und_2007.svg, Lizenz: gemeinfrei, Autor: Wikipedia/Bundeszentrale für politische Bildung


Nach dieser Kurve besitzt das letzte Zehntel der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland 61 Prozent des Nettovermögens. Mein Vorschlag läuft darauf hinaus, etwa 40 Prozent des Volksvermögens ( 6,5 Billionen € x 0,4 = 2,6 Billionen € ) von dieser Vermögensklasse abzuziehen und zum Begleichen der Staats- und Auslandsschulden zu verwenden.
...........



Interessant ist die Tendenz der Vermögensbesitzer unterhalb der oberen 10 %. Diese schrumpft während das letzte Zehntel zulegt.
...........

Beste Grüße aus der Eifel von

Rudi


Halil

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Hallo Eurelios,

Zitat
Mit gleichem Recht? Um das zu verwirklichen müßten erst die Gesetzte hier in der BRD geändert werden und ich bin mir sicher das nach einem Staatsbankrott die gleichen Mächte im Hintergrund die Fäden ziehen werden und dies nie zulassen werden.

Also bleibt doch nur noch die Guillotine.

Aus dem, was du schreibst, folgen drei Fragen:

1. Welches Recht muss eingeführt werden?
2. Werden die Staatsschulden weltweit aufgehoben, wenn dieses Recht in der BRD eingeführt wird?
3. Ist die Alternative zu diesem Recht die Guillotine?


Zur ersten Frage: Das oberste Zehntel der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland hat das Nettovermögen von 61 Prozent verfassungsrechtlich gesehen legal erworben. Wenn ich nun makroökonomisch und historisch zeige, dass diese Vermögensbildung durch die enorme Steigerung der Staatsverschuldung verwirklicht wurde, dann kann ich nur dann in Höhe von 40 Prozent enteignen, wenn ich eine entsprechende Verfassungsänderung durchgeführt habe. Ich tue das, indem ich Artikel 14 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland ändere:  

Art 14

(1) Das Eigentum und das Erbrecht der Weltvölker werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.

(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Völkergemeinschaft dienen.

(3) Eine Enteignung ist nur zum globalen und historischen Wohle der Völkergemeinschaft zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Höhe der Enteignung bzw. der Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der globalen und historischen Ursachen der Schadens- und Schuldenentstehung zu bestimmen. Wegen der Höhe der Enteignung bzw. der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor dem Bundesverfassungsgericht (= dem Weltgericht) offen.


Zum Vergleich gebe ich unten die jetzige Fassung des Artikels 14 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland:

Art 14

(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.

(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.

(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.


Zur zweiten Frage: Wenn dieses neue Verfassungsrecht in der BRD eingeführt werden würde, könnten die Staatsschulden weltweit nicht aufgehoben werden. Zumindest alle OECD-Länder müssen mitmachen, damit die Staatsverschuldung international aufgehoben wird. Deshalb habe ich oben die Verfassungsänderung gleich für alle Weltvölker – für ein Weltparlament – formuliert. Bei meinem oben angeführten Buch wird die Entstehung der neuen politischen Instanz „Weltparlament“ im Vergleich zur Französischen Revolution näher beschrieben.


Zur dritten Frage: Nein, die Alternative zu diesem neuen Verfassungsrecht ist nicht die Guillotine. Du musst bedenken, dass die Guillotine in der Französischen Revolution erst nach der Intervention der europäischen Feudalmächte in Frankreich eine Alternative wurde. Wenn alles drunter und drüber geht und das Schicksal eines ganzen Volkes auf Messers Schneide steht, dann wird es ganz sicher diese „scheußlichen Lösungsmethoden“ geben. Die von uns betrachtete Geschichtsepoche hat aber keinen kriegerischen Hintergrund. Hier geht es um die weltweite (friedliche) Durchsetzung einer Verfassungsänderung auf der Grundlage einer Neudefinition der Volkssouveränität.


Herzliche Grüße aus Istanbul

Halil Güvenis
 
 


« Letzte Änderung: 12. Mai 2012, 12:48:53 von Halil »

HannsGschaft

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Hallo Halil

Der Titel dieses Themas erinnert mich an eine Umkehr der Argumente zur Gründung des Weltklimarates IPCC 1989.

Maurice Strong, erster UNEP-Direktor und Gründungsmitglied des Weltklimarates IPCC, (Wood 1990) und in Rio 1992:
"Besteht nicht die einzige Hoffnung für diesen Planeten in dem Zusammenbruch der industriellen Zivilisation? Liegt es nicht in unserer Verantwortung, dafür zu sorgen, dass dieser Zusammenbruch eintritt?"

Die beratenden Stellen unserer Regierung arbeiten auch schon kräftig mit, den Kapitalismus (zumindest bei uns) zu eliminieren und damit das Klimaproblem zu beseitigen. In den sozialistischen Ländern war und ist Umweltschutz und Klima kein Thema.

Mai 2011
http://www.wbgu.de/hauptgutachten/hg-2011-transformation/
Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) hat eine "Zusammenfassung für Entscheidungsträger" seines Berichts "Welt im Wandel. Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation" herausgebracht. Die Herausforderung der Großen Transformation besteht im "nachhaltigen weltweiten Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft". Auf den "Transformationsfeldern" Energie, Urbanisierung und Landnutzung müssen Produktion, Konsummuster und Lebensstile so verändert werden, dass die globalen Treibhausemissionen im Verlauf der kommenden Dekaden auf ein absolutes Minimum sinken und klimaverträgliche Gesellschaften entstehen können.

Prof. Dr. Hans Joachim Schellnhuber, Gründungsdirektor des Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung
In einer ZDF-Sendung 2011: „Mit einer anderen Staatsform wäre es wesentlich einfacher, die erforderlichen Schritte umzusetzen“.

mfg
Markus

Halil

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Hallo HannsGschaft,

ich habe das vom Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) veröffentlichte Hauptgutachten: „Welt im Wandel – Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation“ in der „Zusammenfassung für Entscheidungsträger“ gelesen (http://www.wbgu.de/hauptgutachten/hg-2011-transformation/) und halte es für einen äußerst interessanten und fortschrittlichen Beitrag zur Lösung der Klimakrise.

Ich möchte im Folgenden durch einige Zitate das Wesentliche an diesem Gutachten herausstellen und wenn nötig, an entsprechender Stelle meine Bedenken äußern:

1. Der WBGU geht davon aus, dass zur erfolgreichen Bekämpfung der Klimakrise ein neuer Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation benötigt wird. „Dies erfordert nach Ansicht des WBGU die Schaffung eines nachhaltigen Ordnungsrahmens, der dafür sorgt, dass Wohlstand, Demokratie und Sicherheit mit Blick auf die natürlichen Grenzen des Erdsystems gestaltet und insbesondere Entwicklungspfade beschritten werden, die mit der 2 °C-Klimaschutzleitplanke kompatibel sind. Auf letztere hat sich die Weltgemeinschaft 2010 in Cancún verständigt. Die Weichenstellungen dafür müssen im Verlauf dieses Jahrzehnts gelingen, damit bis 2050 die Treibhausgasemissionen weltweit auf ein Minimum reduziert und gefährliche Klimaänderungen noch vermieden werden können. Der Zeitfaktor ist also von herausragender Bedeutung.“

2. „Fasst man diese Anforderungen an die vor uns liegende Transformation zusammen, wird deutlich, dass die anstehenden Veränderungen über technologische und technokratische Reformen weit hinausreichen: Die Gesellschaften müssen auf eine neue „Geschäftsgrundlage“ gestellt werden. Es geht um einen neuen Weltgesellschaftsvertrag für eine klimaverträgliche und nachhaltige Weltwirtschaftsordnung. Dessen zentrale Idee ist, dass Individuen und die Zivilgesellschaften, die Staaten und die Staatengemeinschaft sowie die Wirtschaft und die Wissenschaft kollektive Verantwortung für die Vermeidung gefährlichen Klimawandels und für die Abwendung anderer Gefährdungen der Menschheit als Teil des Erdsystems übernehmen. Der Gesellschaftsvertrag kombiniert eine Kultur der Achtsamkeit (aus ökologischer Verantwortung) mit einer Kultur der Teilhabe (als demokratische Verantwortung) sowie mit einer Kultur der Verpflichtung gegenüber zukünftigen Generationen (Zukunftsverantwortung).“

3. „Ein zentrales Element in einem solchen Gesellschaftsvertrag ist der „gestaltende Staat“, der für die Transformation aktiv Prioritäten setzt, gleichzeitig erweiterte Partizipationsmöglichkeiten für seine Bürger bietet und der Wirtschaft Handlungsoptionen für Nachhaltigkeit eröffnet. Der Gesellschaftsvertrag umfasst auch neue Formen globaler Willensbildung und Kooperation. Die Schaffung eines dem Weltsicherheitsrat ebenbürtigen „UN-Rates für Nachhaltige Entwicklung“ sowie die Bildung internationaler Klimaallianzen zwischen Staaten, internationalen Organisationen, Städten, Unternehmen, Wissenschaft und zivilgesellschaftlichen Organisationen wären hierfür Beispiele.“

4. „Der WBGU begreift den nachhaltigen weltweiten Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft als „Große Transformation“. Auf den genannten zentralen Transformationsfeldern müssen Produktion, Konsummuster und Lebensstile so verändert werden, dass die globalen Treibhausgasemissionen im Verlauf der kommenden Dekaden auf ein absolutes Minimum sinken und klimaverträgliche Gesellschaften entstehen können. Das Ausmaß des vor uns liegenden Übergangs ist kaum zu überschätzen. Er ist hinsichtlich der Eingriffstiefe vergleichbar mit den beiden fundamentalen Transformationen der Weltgeschichte: der Neolithischen Revolution, also der Erfindung und Verbreitung von Ackerbau und Viehzucht, sowie der Industriellen Revolution, die von Karl Polanyi (1944) als „Great Transformation“ beschrieben wurde und den Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft beschreibt.“

5. „Die bisherigen großen Transformationen der Menschheit waren weitgehend ungesteuerte Ergebnisse evolutionären Wandels. Die historisch einmalige Herausforderung bei der nun anstehenden Transformation zur klimaverträglichen Gesellschaft besteht darin, einen umfassenden Umbau aus Einsicht, Umsicht und Voraussicht voranzutreiben. Die Transformation muss auf Grundlage wissenschaftlicher Risikoanalysen zu fortgesetzten fossilen Entwicklungspfaden nach dem Vorsorgeprinzip antizipiert werden, um den historischen Normalfall, also eine Richtungsänderung als Reaktion auf Krisen und Katastrophen, zu vermeiden.“

Meine Bedenken: Wenn man feststellt, dass die bisherigen großen Transformationen der Menschheit weitgehend ungesteuerte Ergebnisse evolutionären Wandels waren, dann darf man nicht erwarten, dass die nun anstehende große Transformation zur klimaverträglichen Gesellschaft nach einem vorgefassten Schema der Experten ablaufen wird. Die Etappen des evolutionären Geschehens können nicht subjektiv festgelegt werden; „es ist nicht möglich, dass der revolutionäre Wille der Retter die ablaufenden Prozesse im Weltmaßstab und in großen Zeitdimensionen entscheidend beeinflussen kann. Im Gegenteil, das globale und historische Szenario wird sich um individuelle Meinungen wenig kümmern und sich selbst durchsetzen.“ (Halil Güvenis, Lösung der Klimakrise im Rahmen der Zusammenbruchskrise des Kapitalismus, S. 97. Aachen: Shaker, 2011) Von daher wäre an dieser Stelle angebracht, zunächst nach objektiven Bedingungen der historischen Entwicklung zu fragen und erst dann den „umfassenden Umbau aus Einsicht, Umsicht und Voraussicht“ zu bestimmen.

 6. „Die Vorstellung vom neuen Gesellschaftsvertrag bezieht sich auf die Notwendigkeit, dass die Menschheit kollektive Verantwortung für die Vermeidung gefährlichen Klimawandels und anderer planetarischer Risiken übernimmt. Das erfordert zum einen die freiwillige Beschneidung von Optionen herkömmlichen Wirtschaftswachstums zugunsten der Sicherung von Freiheitsspielräumen der davon besonders heute schon betroffenen Teile der Menschheit und vor allem künftiger Generationen. Zum anderen erfordert die Transformation einen starken Staat, der ausbalanciert werden muss durch erweiterte Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger.“

Meine Bedenken:Die freiwillige Beschneidung von Optionen herkömmlichen Wirtschaftswachstums“ ist schlichtweg eine Utopie, solange man nicht den objektiven Weg zeigt, auf dem die Gesellschaft zu diesem idealen Zustand gelangen wird. „Wirtschaftswachstum ist ein Prozess, der unabhängig vom Willen einzelner Personen und Menschengruppen historisch gewachsen ist und sich durch Mehrheitsbeschlüsse überhaupt nicht aufheben lässt; selbst wenn der Wille der gesamten Menschheit hinter diesen Beschlüssen stünde, ließe sich das Wirtschaftswachstum nicht durch ein neues Prinzip ersetzen!“ (ebd.)

7. „Die Idee des Gesellschaftsvertrages knüpft an Vorlagen im Naturrecht der frühen Moderne an, seine Neuauflage steht heute im Wesentlichen vor vier Herausforderungen:

1. Der nationale Territorialstaat kann aufgrund der fortschreitenden wirtschaftlichen und kulturellen Globalisierung nicht länger als alleinige Grundlage des Vertragsverhältnisses angenommen werden. Seine Bewohner müssen grenzüberschreitende Risiken und Naturgefahren sowie die legitimen Interessen Dritter, nämlich anderer Mitglieder der Weltgesellschaft, verantwortlich einbeziehen.

2. Die herkömmliche Vertragslehre ging von der Fiktion völliger Gleichheit aller Gesellschaftsmitglieder aus. Angesichts der disparaten Verteilung von Ressourcen und Fähigkeiten in der heutigen Weltgesellschaft müssen gerechte globale Ausgleichsmechanismen greifen.

3. Die natürliche Umwelt muss stärker in die Rekonstruktion des Gesellschaftsvertrages einbezogen werden.

4. Der Vertrag muss zwei wichtige neue Akteure in Rechnung stellen: die selbst organisierte Zivilgesellschaft und die wissenschaftliche Expertengemeinschaft.“

Meine Bedenken: Der WBGU stellt ganz korrekt fest, dass wir heute vor einer historischen Situation stehen, die vergleichbar ist mit den Verhältnissen vor der Französischen Revolution. Die geschichtliche Herausforderung damals bestand darin, in Opposition zum feudalabsolutistischen Ständestaat die Konzeption eines Nationalstaates und einer Nationalversammlung zu entwickeln; der Gesellschaftsvertrag fand seinen Ausdruck in einer nationalstaatlichen Verfassung, die sich eindeutig auf die zuvor feierlich proklamierte Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte (1789) berief. Wenn der WBGU nun grundsätzlich feststellt, dass der Nationalstaat, die Nationalversammlung und die Nationalverfassung durch die geschichtliche Entwicklung an ihre Grenzen gestoßen sind, dann ist es vollkommen logisch, im nächsten Schritt die Konzeption des Weltstaates, des Weltparlaments und der Weltverfassung zu entwickeln. Das tut aber der WBGU nicht und versucht die Herausforderungen des neuen Gesellschaftsvertrages zu bestimmen, ohne das Kind beim Namen zu nennen. (Wenn man bedenkt, dass der WBGU im Auftrag der Bundesregierung steht, dann kann man verstehen, dass verfassungsrechtlich gesehen die nationalstaatlichen Grenzen nicht überschritten werden dürfen.)

8. „Der neue Gesellschaftsvertrag ist ein Veränderungskontrakt: Die Weltbürgerschaft stimmt Innovationserwartungen zu, die normativ an das Nachhaltigkeitspostulat gebunden sind, und gibt dafür spontane Beharrungswünsche auf. Garant dieses virtuellen Vertrages ist ein gestaltender Staat, der für die Zustimmung zu Nachhaltigkeitszielen die Bürgerschaft an den zu treffenden Entscheidungen beteiligt. Damit wird eine Kultur der Achtsamkeit (aus ökologischer Verantwortung) mit einer Kultur der Teilhabe (als demokratischer Verantwortung) sowie mit einer Kultur der Verpflichtung gegenüber zukünftigen Generationen (Zukunftsverantwortung) verbunden. Von der Bürgergesellschaft wird keineswegs eine oberflächliche oder gar resignierte Akzeptanz nachgefragt: Sie wird vielmehr als Mitgestalterin für das Gelingen des Transformationsprozesses anerkannt und in Bewegung gesetzt und legitimiert den Prozess dadurch. Die Idee des gestaltenden Staates ist also untrennbar verbunden mit der Anerkennung der Zivilgesellschaft und der innovativen Kräfte in Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung.“

Meine Bedenken: Um innerhalb extrem kurzer Zeit die Veränderung zu einer klimaverträglichen und nachhaltigen Gesellschaft zu gewährleisten, entwirft der WBGU eine Rollenverteilung zwischen Staat und Weltbürgerschaft, die stark an die Zustände im real existierenden Sozialismus oder in der Französischen Revolution zur Zeit der Terror-(Jakobiner)herrschaft (1792-94) erinnert. Um Missverständnissen vorzubeugen, wäre es hier angebracht gewesen, die „große Transformation“ mit der Terrorherrschaft in der Französischen Revolution und mit dem real existierenden Sozialismus zu vergleichen. Da dies jedoch nicht geschieht, muss sich der WBGU gefallen lassen, dass hier im Namen des Klimaschutzes eine Ökodiktatur errichtet wird.

9. „Die Transformation ist ein gesellschaftlicher Suchprozess, der durch Experten unterstützt werden sollte. Forschung hat dabei die Aufgabe, im Zusammenspiel mit Politik, Wirtschaft und Gesellschaft klimaverträgliche Gesellschaftsvisionen aufzuzeigen, unterschiedliche Entwicklungspfade zu beschreiben sowie nachhaltige technologische und soziale Innovationen zu entwickeln. Gleichzeitig sollte das Gerüst für eine Kultur der Teilhabe in der Gesellschaft gestärkt werden. Zu diesem Zweck sollte Bildung die Menschen in die Lage versetzen, Problembewusstsein zu entwickeln, systemisches Denken zu erlernen sowie verantwortlich zu handeln. Die Förderung von Forschung und Bildung sind daher zentrale Aufgaben des modernen gestaltenden Staates, der die Einbindung der wissenschaftlichen Expertengemeinschaft in den Gesellschaftsvertrag gezielt unterstützen sollte.“

Meine Bedenken: Gewisse Ähnlichkeiten mit dem real existierenden Sozialismus sind hier unverkennbar: Die wissenschaftliche Expertengemeinschaft könnte zum Beispiel mit Marxisten-Leninisten identifiziert werden. Und die Forschung und die Bildung könnten an die Stelle des historischen und dialektischen Materialismus treten, die der Gesellschaft durch die Staatsgewalt aufoktroyiert werden. Die Teilhabe der Gesellschaft an technologischen und sozialen Innovationen würde dann die Belohnung der Weltbürger darstellen, die beim Erlernen der Staatsideologie besonders strebsam und fügsam waren… Diese Ähnlichkeitssuche ist erlaubt, weil sich der WBGU von Zuständen im real existierenden Sozialismus nicht ausdrücklich distanziert. – Was geschieht eigentlich mit Andersdenkenden, also mit solchen Leuten, die ihren „spontanen Beharrungswünschen“ nicht abtrünnig werden können? Diesen Punkt lässt der „Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation“ ungeklärt.

10.Fazit
Der „fossilnukleare Metabolismus“ der Industriegesellschaft hat keine Zukunft. Je länger wir an ihm festhalten, desto höher wird der Preis für die nachfolgenden Generationen sein. Doch es gibt Alternativen, die allen Menschen zumindest die Chance auf ein gutes Leben in den Grenzen des natürlichen Umweltraumes eröffnen können. Ohne eine weltweite Übereinkunft, diese Alternativen tatsächlich zu wagen, werden wir nicht aus der Krise der Moderne herausfinden. Nichts weniger als ein neuer Contrat Social muss also geschlossen werden. Dabei wird die Wissenschaft eine entscheidende, wenngleich dienende Rolle spielen. Nachhaltigkeit ist nicht zuletzt eine Frage der Phantasie.“

Meine Bedenken: Ein Weltgesellschaftsvertrag tut also Not und der Wissenschaft wird eine entscheidende Rolle bei dieser weltweiten Übereinkunft zugedacht… Meiner Meinung nach ist das ein rationalistischer Standpunkt. Wenn man bedenkt, dass der überwiegenden Mehrheit der Menschen auf der Erde das wissenschaftliche Paradigma rein von ihrer Vorbildung her nicht zugänglich ist, dann wird einem klar, dass bei der weltweiten Übereinkunft eine über den wissenschaftlichen Standpunkt hinausgehende Instanz dafür sorgen muss, dass die Menschen mit ihrem ganzen Herzen an den großen Gesellschaftsvertrag gebunden sind. Ohne diese Instanz wird es keinen „ Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation geben… Meiner Meinung nach braucht die Weltgemeinschaft für diesen Zweck nicht den Rationalismus der Pioniere, sondern die „multikulturelle Demokratie der Weltvisionäre“ (Halil Güvenis, Lösung der Klimakrise im Rahmen der Zusammenbruchskrise des Kapitalismus, S. 127 ff. Aachen: Shaker, 2011).

Viele Grüße aus Istanbul

Halil Güvenis
« Letzte Änderung: 05. Juli 2012, 10:28:56 von Halil »

HannsGschaft

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Hallo Halil

Herzlichen Dank für Deinen Kommentar. Ich wollte, ich könnte meine Bedenken auch so klar zum Ausdruck bringen.
Die ambitionierten Ziele des wissenschsschaftlichen Beirates der Bundesregierung kann ich eigentlich nur als Größenwahn bezeichnen. Am deutschen Wesen soll die Welt genesen. Diese Herrschaften gehen davon aus, daß alle Völker dieser Erde die gleiche Vorstellung von einem glücklichen Leben haben. Und was uns glücklich machen soll, bestimmt eine Hand voll selbsternannte Experten in einer nicht gewählten, sondern erschaffenen Weltregierung. Deine Bezeichnung "Ökodiktatur" erscheint mir als der richtige Ausdruck dafür.

mfg
Markus

Halil

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Hallo HannsGschaft,

ich glaube, ich muss den WBGU ein bisschen in Schutz nehmen. Ich halte die Experten im WBGU sicherlich nicht für größenwahnsinnig. Auch die Bezeichnung „Ökodiktatur“ ist mit Vorsicht zu genießen. Ich habe lediglich festgestellt, dass der WBGU sich den Vorwurf gefallen lassen muss, im Namen des Klimaschutzes eine Ökodiktatur zu errichten, solange er kein objektives, geschichtliches Szenario für die „große Transformation“ entwickelt und dieses Szenario mit der Terrorherrschaft in der Französischen Revolution oder mit den Zuständen im real existierenden Sozialismus vergleicht.

Über diesen theoretischen Mangel hinaus halte ich aber den Vorschlag des WBGU, einen Weltgesellschaftsvertrag für eine große Transformation zu wagen, für einen eminent wichtigen und begrüßenswerten Schritt zur Lösung der Klimakrise. Es ist ganz selten in der Geschichte, dass sich die Experten, also Fachleute für einen gewissen Wissenszweig, derart radikalisieren und geradezu den „Umsturz“ propagieren, wohingegen der Mann auf der Straße sich konservativ gibt und den Status quo verteidigt. Dieses gesellschaftliche Missverhältnis bringt es mit sich, dass die Experten sich als die alleinigen Besitzer des Wissens über die Klimakatastrophe wähnen und mit voluntaristisch-rationalistischen und „diktatorischen“ Methoden ihre Ziele durchzusetzen versuchen.

Herzliche Grüße aus Istanbul

Halil Güvenis

Halil

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Der Artikel „Simulation eines triebgesteuerten Agenten“ ist in ‚General Science Journal’ erschienen.

http://gsjournal.net/Science-Journals/Research%20Papers/View/4875

Der Autor freut sich auf Kommentare und Rezensionen!

Halil Güvenis


Abstract

In der vorliegenden Arbeit wird Schritt für Schritt das Simulationsprogramm für einen triebgesteuerten Agenten entwickelt. Wir stellen zunächst ein 3-Ebenen- Modell vor, auf dem unser Simulationsprogramm basiert. Als Nächstes simulieren wir den stereotypen Agenten, der einem zweidimensionalen Braitenberg-Vehikel entspricht. Anschließend lassen wir die Triebe durch Schmerz-Signale entstehen und in einem “Winner-take-all”-Netzwerk in Konkurrenz zueinander treten. Je nachdem, ob Lustgewinnungs- oder Schmerzvermeidungstriebe die Oberhand gewinnen, unterteilen wir die auszuführenden Prozeduren in appetitive bzw. aversive Verhaltenssequenzen, die durch Lust- und Schmerz-Signale indiziert werden. Die Simulationsergebnisse diskutieren wir anhand der Bahnkurve des Agenten.