Martin Scheytt: Bodensatz

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Scheytt führt in seinen Argumenten mehrfach den Begriff "Bodensatz" auf, ohne diesen näher zu erläutern. Was kann man sich gemäß Scheytts orthodoxer Kredittheorie darunter vorstellen?

Die Sichteinlagen der Bankkunden sind grundsätzlich jederzeit auf Anforderung an den Kunden auszuzahlen, daher stammt ja auch die "Einlage auf Sicht". Hierzu müsste die Bank somit jederzeit den vollen Betrag der Sichteinlagen im Tresor als Bargeld vorhalten. Erfahrungsgemäß verbleibt indes ein Großteil dieser Einlagen auf den Sichtkonten, sodass im Durchschnitt von einer erheblichen Summe nicht in Anspruch genommener Sichtguthaben ausgegangen werden kann. Über einen betrachteten Zeitraum, von z. B. einem Jahr, unterschreiten die Sichteinlagen deshalb nie einen bestimmten Betrag. Diesen Betrag bezeichnet man als Bodensatz. Der Bodensatz setzt sich zwar aus aus einem Teil der "täglich fälligen" Sichtguthaben zusammen, kann aber seitens der Bank als feste Einlage in ihre Kalkulation einbezogen werden. Es ist ein Block an Guthaben, der sich über das Jahr gesehen als konstante Größe herausstellt.

Bei einem Bodensatz in Höhe von 2/3 der Sichteinlagen werden von 900.000 € Einlagen maximal 300.0000 € für den Zahlungsverkehr gebraucht. Da 600.000 € nicht benötigt werden, kann das entsprechende Bargeld als Kredit ausgegeben werden. Bereits die ersten Banken handelten nach diesem Prinzip zur Durchführung eigener Geschäfte.

Auf die Unterscheidung in "täglich fällige Sichteinlagen" und "Termin- und Spareinlagen" geht Scheytt in seiner Untersuchung nicht ein.

Kassenüberschuss

Eine klare Definition des "Kassenüberschusses" findet sich in seinem Werk nicht, sodass aus Aussagen in Verbindung mit dem Wort Kassenüberschuss erst mühsam seine Auffassung herausgeschält werden kann. Wird in seinem Werk von "Kassenüberschüssen" gesprochen, so sind diese offenkundig auch in einem orthodoxen Sinne zu verstehen.

"Im vorigen, dritten Abschnitt haben wir schließlich ausgeführt, daß die Summe sämtlicher Bankguthaben die Summe des umlaufenden Bargeldes nicht übersteigen könnte, wenn die Banken lediglich Geldaufbewahrungs- und Geldübertragungsstellen wären."(Seite 69)

Er zählte hier ganz offensichtlich auch das in der Bank vorhandene Bargeld zum umlaufenden Bargeld hinzu. Eine gewöhnungsbedürftige Definition, da nur das Bargeld außerhalb der Banken kaufkraftwirksam ist, nicht jedoch das Bargeld in den Kassen der Banken. Sein Merksatz besagt, dass ohne Kredite die Einlagen nie höher sein können wie die Summe sämtlichen vorhandenen Bargeldes

Um die Ausführungen Scheytts besser einordnen zu können, einige grundlegende Gedanken zum Verhältnis von Bargeld zu Buchgeld.

Als Beispiel nehmen wir im Fall 1 an,

Umwandlung von Bargeld in Buchgeld

dass außerhalb des Bankensystems, bei den Kunden, 1 Million € an Bargeld vorhanden ist, im Bankensystem jedoch kein Bargeld existiert. Die Kunden können untereinander mit Bargeld kaufen und verkaufen, die Bank ist jedoch ohne Arbeit.

Im 2. Fall, genauso extrem dargestellt wie Fall 1, haben die Kunden sämtliches Bargeld zur Bank gebracht. Die Bank besitzt nun 1 Million € Bargeld und hat den Kunden gegenüber Verbindlichkeiten in Höhe von ebenfalls 1 Million €. Diese Verbindlichkeiten sind Buchgeld. Für den Kunden sind sie Guthaben bei der Bank. Details der Einzahlung von Bargeld wurden im Abschnitt "Bilanzen und Zahlungsverkehr" beschrieben.

Wie in einem System ohne Bargeld können die Kunden im 2. Fall ihre Geschäfte jetzt mit Buchgeld abwickeln. Das Buchgeld ist 1:1 an die Stelle des Bargeldes getreten. Die Geldmenge bei den Kunden ist nach wie vor auf 1 Million € beschränkt. Dieses System ist direkt vergleichbar mit den Depositen- und Girobanken in der Frühzeit unseres Bankensystems. Die Geschäftstätigkeit der Bank ist auf die reine Kontenverwaltung der Kunden beschränkt. Es können keine Zahlungsprobleme bei der Bank entstehen, da für jeden Buchgeld-€ auch ein Bargeld-€ im Tresor liegt. Hierzu auch Scheytt:


Die frühen Girobanken, z. B. die Amsterdamer Wechselbank oder die Bank von Hamburg funktionierten nach einem ähnlich Prinzip. Gold- und Silbermünzen wurden bei der Bank hinterlegt und die eingezahlten Beträge in Kontenblättern erfasst. Geld konnte bei Bedarf von einem Kunden auf den anderen überschrieben werden. Der Geschäftszweck bestand in der Dienstleistung des Aufbewahrens von Geld, Erfassung der Beträge in Kontenblättern und Übertragung von Geldbeträgen, auf Anweisung der Kunden, durch Umschreibung in den Kontenblättern. Kreditvergaben gehörten nicht zu diesem Geschäftsmodell.

"Würden die Banken das empfangene Geld nicht anlegen, sondern nur aufbewahren und den Zahlungsverkehr für ihre Kunden durchführen, dann könnte die Summe sämtlicher Bankguthaben niemals die Summe des Bargeldumlaufs übersteigen." (Seite 64)

Wenn eine Bank keine Kredite vermittelt, kann sie nur das eingezahlte Bargeld verwalten. Unter "anlegen" versteht Scheytt hier die Gewährung von Krediten. Wie lange die Einlagen festgelegt sind, spielt bei seinen Überlegungen jedoch keine Rolle. Die Vernachlässigung dieser Einlegefristen erweist sich für sein Werk zu einem verhängnisvollen Stolperstein.

Sparguthaben

Um die später beschriebene "Kreditvermittlung" zu verstehen gehen wir in einem Beispiel als Vorbedingung davon aus, dass es der Bank nicht erlaubt sei, selbständig Kredite zu gewähren. Ein Kredit kann jedoch zustande kommen, wenn ein Kunde auf die Nutzung seines Bankguthabens zeitweise verzichtet und ein anderer Kunde einen Kredit in Höhe dieser Spareinlage benötigt. Anton besitzt ein Bankguthaben von 4.000 €. Da er hiervon 3.000 € in den nächsten zwei Jahren nicht in Anspruch nehmen will, bietet er es der Bank als Sparguthaben an. Diese kann nun an Beno einen Kredit über 3.000 € erteilen und ihn auch, falls gewünscht, bar auszahlen. Ein Zahlungsproblem der Bank kann nicht entstehen, da Anton erst nach 2 Jahren die 3.000 € zurückfordern kann, d.h. wenn Beno den Kredit bereits zurückgezahlt hat. Die Bank gibt, sehr vereinfacht gesagt, selbst keinen Kredit sondern vermittelt den Sparwunsch des einen Kunden mit dem Kreditwunsch des anderen Kunden.

Diese Überlegungen sind auch Ausgangspunkt der "goldenen Bankregel", deren Grundsätze Otto Hübner[1]. bereits 1854 formuliert hat, wobei Hübner indes auch eindeutig auf die Fristen verweist.

„Die Bank kann, wenn sie auf drei Monate Gelder deponiert erhält, ohne Gefahr dieselben nicht auf sechs Monate ausborgen; ….."

Diese Regel wurde in der Praxis von den Banken jedoch nie eingehalten. Die Rückkehr zu einem solch seriösen System wird nach der Finanzkrise von 2008 wieder vermehrt gefordert.

Nun zurück zu den "orthodoxen Kassenüberschüssen". Sämtliche Bargeldeinlagen von Kunden sind mit vorhandenem Bargeld im Tresor der Bank "gedeckt". Kredit kann die Bank nur erteilen, wenn ein Kunde bewusst für einen bestimmten Zeitraum auf die Nutzung seiner Einlage verzichtet, wenn er also seine täglich fällige Sichteinlage in eine Spareinlage umwandelt. Bei diesem Ablauf der Bankgeschäfte kann ein Kassenüberschuss nur entstehen, wenn z. B. 100.000 € an Spargeldern festgelegt sind, die Bank aber nur Kredite in Höhe von 50.000 € vergeben hat. Genau genommen ist die Voraussetzung für den Kredit das Vorhandensein eines Sparguthabens und nicht das Vorhandensein eines Kassenüberschusses.

Bilanztechnisch geschieht bei der

Auszug Passiva

Umwandlung von Sichteinlagen in Spareinlagen ein Passivtausch. "Täglich fällige Verbindlichkeiten" werden nach "Spareinlagen" umgebucht. Die Bilanzsumme hat sich nicht verändert.

Sind keine Kredite vergeben, ist die Summe sämtlicher Verbindlichkeiten gleich dem Kassenbestand. Die Bank kann jede Anforderung nach Bargeldauszahlung aus den Verbindlichkeiten erfüllen. Ist eine Spareinlage vorhanden, muss sie den entsprechenden Sparbetrag nicht als Bargeld flüssig haben sondern kann einen entsprechenden Kredit vergeben. Diesen frei verfügbaren Kassenbestand versteht Scheytt als Kassenüberschuss. Auf die Nutzung des Sparguthabens wird solange verzichtet, wie das, aus der Kreditgewährung stammende Geld in Umlauf ist. Dabei ist es gleichgültig, ob dieses Geld als Bargeld oder als Buchgeld zirkuliert.

Etwas verwirrend wirkt die folgende Aussage:

"Die Verknüpfung der Geschäfte wirkt sich also sogar noch bei der Kreditgewährung für die Banken günstig in dem Sinne aus, daß der vorhandene Kassenüberschuß genügt, um eine Kreditnachfrage zu befriedigen, die über den Betrag des Kassenüberschusses hinausgeht." (Seite 66)

Auf Seite 64 stellt er die Frage:

"Weshalb ist es den Banken - genauer gesagt - der Einzelbank möglich, die jederzeit abrufbaren Gelder ihrer Kunden im Wege des Kredits zu verleihen, ohne dadurch ihre Zahlungsfähigkeit zu gefährden?"

Entsprechend der nahezu einmütigen Auffassung in der Literatur tragen zur Bildung eines dauerenden Kassenüberschusses, der zur Gewährung eines Kredites verwendet werden kann, drei zusammenwirkende Ursachen bei.

  • Durch die Konzentration von Kassengeschäften bei den Banken entstehen gemäß dem Gesetz der großen Zahl Kassenüberschüsse, d.h. Kunden lassen Guthaben auf ihren Girokonten stehen, es bildet sich ein Bodensatz.
  • Einnahmen und Ausgaben im Kassengeschäft gleichen sich teilweise aus.
  • Die unbare Zahlungsabwicklung entlastet die Bankkasse.

Obwohl Scheytt sich in seinem Werk seitenlang mit "Ursachen und Wirkungen" beschäftigt, erkennt er nicht, dass die Ursache für einen Kredit nach der orthodoxen Kredittheorie nicht der Kassenüberschuss ist, sondern das Vorhandensein eines Sparguthabens. Der Kassenüberschuss ist sekundär. Das Denken von Geld als etwas Gegenständliches verhindert die Sicht auf das Wesentliche. Ein Bankguthaben ist eine Forderung an die Bank. Auch ein Sparguthaben ist eine Forderung an die Bank, wobei der Sparer jedoch für die Sparzeit auf die Inanspruchnahme seiner Forderung verzichtet. Auf diesen Forderungsverzicht hin kann die Bank einen Kredit gewähren.

Um bei Scheytts Beispielen

Kredit01.png

der Übertragung von realwirtschaftlichen Vorgängen auf den Bankenbereich zu bleiben:

Anton verkauft eine Produktionsmaschien zum Preis von 100.000 € an Beno. Da Beno nicht sofort zahlen kann, wird ein Zahlungsaufschub von 6 Monaten vereinbart. Beide können nun in ihre Geschäftsbeziehung die Bank mit einschalten. Beno erhält einen Kredit über 100.000 € und Anton ein entsprechendes Guthaben mit 6-monatiger Sperrfrist. Er hat der Bank also 100.000 € für 6 Monate geliehen. Es ist kein einziger EURO Bargeld für den Kredit erforderlich gewesen. Nach 6 Monaten zahlt Beno 100.000 € an die Bank und diese leitet das Geld an Anton weiter.


Einzelnachweise

<references >

  1. Otto Hübner: Die Banken. Leipzig 1854.