Das Geldrätsel: Fristenspekulation

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"Wird über Fristentransformation gesprochen setzt dies das Modell einer Bank als Vermittler (Intermediär), zwischen denjenigen die „Geld“ übrig haben und denjenigen die „Geld“ benötigen, voraus."

Diesem Modell wird heute zunehmend widersprochen, da man der Meinung ist, dass Banken Geld schöpfen und nicht zwischen Sparern und Kreditnehmern vermitteln. Im nächsten Beitrag Vermittler oder Schöpfer wird auf diese Widersprüchlichkeit näher eingegangen.

Fristentransformation

Von Fristentransformation wird gesprochen, wenn eine Bank die unterschiedlichen Laufzeitwünsche von Sparern und Kreditnehmern ausgleicht. Das Wort "Transformation" verbindet man in der Regel mit einem seriös ablaufenden Vorgang, wenn man von der Bedeutung der Transformation in der Physik oder der Mathematik ausgeht. Wie nachstehend gezeigt, ist dies bei der Fristentransformation im Bankensektor nur sehr bedingt der Fall. In der Fachliteratur wird die Fristentransformation als legitimes Mittel der Banken dargestellt um eine der Hauptfunktionen der Banken, die "unterschiedlichen Laufzeitinteressen von Schuldnern und Gläubigern in Einklang zu bringen"[1]. Die Literatur unterscheidet zwischen "negativer" und "positiver Fristentransformation"[2], wobei bei positiver Fristentransformation der Ausdruck "Fristenspekulation" angemessener wäre, wie nachfolgend noch erläutert wird. Das Gegenteil von Fristentransformation ist die Fristenkongruenz. Wird eine Spareinlage über 400 Geldeinheiten (GE) mit einer Laufzeit von 1 Jahr verwendet um ein Darlehen über ebenfalls 400 GE und einer Laufzeit von 1 Jahr zu finanzieren, spricht man von Fristenkongruenz. Die Laufzeit des Sparbetrags ist gleich der Laufzeit des Darlehns.

Negative Fristentransformation

Ein Sparer legt 400 Geldeinheiten (GE) in einem Sparbrief bei der Bank für 1 Jahr fest. Ein anderer Kunde möchte 400 GE Kredit von der Bank erhalten, jedoch nur für einen Zeitraum von 6 Monaten. Die Bank kann für die restlichen 6 Monate einen weiteren Kredit über 400 GE an einen anderen Bankkunden ausreichen. Werden die Kredite von der Bank so erteilt, hat sie eine "negative Fristentransformation" vorgenommen. Wäre nur 1 Kredit über 400 GE mit einer Laufzeit von 12 Monaten erteilt worden, hätte die Bank keine Fristentransformation betrieben sondern sie hätte den Kredit "fristenkongruent refinanziert". Hier wird ersichtlich, dass kein wesentlicher Unterschied zwischen der Fristenkongruenz und der "negativen Fristentransformation" besteht. Der Sparbetrag wird nicht in in einer Aktion für 12 Monate festgelegt sondern lediglich auf zwei Kreditverträge mit je 6 Monaten aufgeteilt. Aus einer lang angelegten Spareinlage wurden zwei kurze Kreditverträge finanziert, ohne jegliches Fristenrisiko. Damit wird ausgedrückt, dass aus den Zahlungsfristen gegenüber dem Kreditnehmer und dem Sparer der Bank kein Zahlungsproblem entstehen kann. Die heutigen Pfandleiher arbeiten nach diesem Prinzip, vergleichbar mit den ursprünglichen Leihbanken. Der Ausdruck "negative Fristentransformation" ist in hohem Maße irreführend, da er genau das Gegenteil von dem beschreibt, was gemeinhin unter Fristentransformation verstanden wird.

Positive Fristentransformation

Otto Hübner warnt 1854 in seinem Buch "Die Banken" davor, zur Finanzierung langfristiger Kredite kurzfristige Spareinlagen heranzuziehen. Dies kommt in seiner Forderung

"Die Bank kann, wenn sie auf drei Monate Gelder deponiert erhält, ohne Gefahr dieselben nicht auf sechs Monate ausborgen."(Seite 28 ff)

zum Ausdruck. Die Bank hat eine Spareinlage über 400 GE mit einer Laufzeit von 3 Monaten erhalten. Daraufhin vergibt sie einen Kredit über 400 GE mit einer Laufzeit von 6 Monaten. Sie benötigt also nach 3 Monaten eine weitere Spareinlage über 400 GE und einer Laufzeit von 3 Monaten. Die Gefahr nach Hübner besteht also darin, dass der Nachfolgesparer eventuell nicht gefunden werden kann. Bei dieser Folgerung wird davon ausgegangen, dass die Bank tatsächlich eine reine Vermittlungsleistung erbringt, d. h. dass sie nicht mehr ausleihen kann, wie sie selbst besitzt. Zum Zeitpunkt der Kreditvergabe hat sie nur für die ersten 3 Monate die Refinanzierung gesichert. Diese Art der Refinanzierung wird als "positive Fristentransformation" bezeichnet. Wird allgemein über "Fristentransformation" gesprochen ist immer diese "positive" Variante gemeint. Die Bank sammelt insgesamt gesehen viele kurzfristige Spargelder nacheinander ein und finanziert damit einige langfristige Kundenkredite. Dabei erzielt die Bank durchweg einen beachtlichen Gewinn aus den unterschiedlichen Zinssätzen von lang- und kurzfristigen Anlageformen, wie dies detailliert im Kapitel "Bankkalkulation" gezeigt wird. Aus der Durchschnitts-Zinsertragsbilanz wird zum Teil ersichtlich, in welchem Umfang Fristentransformation von einer Bank betrieben wird, d. h. in welchem Ausmaß die Bank auf für sie günstige Zinsentwicklungen spekuliert. Sie spekuliert darauf, dass die künftigen Zinsen für kurzfristige Geldanlagen unter den Zinssätzen für langfristige Zinsen liegen, d. h. es wird auf eine "normale", steigende Zinsstrukturkurve gesetzt. Der durch diese Spekulation erreichte Erlösanteil geht als "Strukturbeitrag" in die Bankkalkulation ein.

Steigen hingegen die kurzfristigen Zinsen über die Zinssätze für langfristige Zinsen an, spricht man von einer inversen Zinsstrukturkurve mit fallenden Zinsen auf der Anlagendauerachse. Der Bank entstehen hierbei Verluste. Als Normalfall ist jedoch die steigende Zinsstrukturkurve anzusehen. Die aus der Fristentransformation entstehenden Risiken bei Zinsänderungen werden entsprechend als Zinsänderungsrisiken bezeichnet.

"Diejenigen die Geld sparen, stellen es denjenigen zur Verfügung, die Geld leihen wollen. Die Banken als Kreditvermittler bringen dabei die unterschiedlichen Interessen der Beteiligten in Einklang."

Die Bank stellt dem Kreditnehmer einen langfristigen Kredit zur Verfügung und finanziert diesen mit kurzfristigen Einlagen.

Liquiditätsplan.png

Für die gesamte Darlehensdauer besitzt sie die erforderlichen Mittel zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Ein Beispiel ist in der nebenstehenden Tabelle abgebildet. Anton erhält von der Bank ein Darlehen über 400 Geldeinheiten (GE) für die Dauer von 4 Jahren. Die Bank kann gleichzeitig den Sparer 1 dazu bewegen, ihr 400 GE für den Zeitraum eines Jahres als Spareinlage zur Verfügung zu stellen. Mit dieser Spareinlage kann die Bank nun an Anton 400 GE auszahlen. Am Ende des ersten Jahres möchte Sparer 1 seine Spareinlage zurückerhalten, da er diese anderweitig einsetzen will. Die Bank benötigt also zu diesem Zeitpunkt 400 GE, d. h. einen weiteren Sparer. Sie kann den Sparer 2 zur Einlage von 400 GE für die Dauer des 2. Jahres gewinnen. Dessen Einlage wird an den Sparer 1 ausgezahlt. Sparer für die Jahre 3 und 4 fehlen der Bank zu diesem Zeitpunkt jedoch immer noch.

Zur Refinanzierung können jedoch auch bedeutend kurzfristigere Einlagen herangezogen werden, z. B. 6-Monatsgeld, 3-Monatsgeld, Termingelder bis zu Tagesgelder und auch Girokonten mit "0"-Tage Anlagedauer. Bei Tagesgeld kann man sich noch vorstellen, dass der Sparer dieses der Bank für 1 Tag überlässt. Bei der Refinanzierung des 4-Jahres Darlehens muss die Bank theoretisch 1459-mal einen Nachfolgesparer suchen. Da aber Tagesgeld automatisch jeweils um 1 Tag verlängert wird, sofern der Kunde nicht kündigt, muss die Bank praktisch nur die Kündigungen im Auge behalten. Ansonsten erscheint der Tagesgeldblock als feste, langfristige Refinanzierungsquelle. Ähnliches geschieht mit sonstigen Einlagen, welche einer Kündigung bedürfen wie z. B. Einlagen auf Sparbüchern. Speziell beim Girokonto fällt es besonders schwer, sich die Anwendung der Fristentransformation noch vorzustellen.

Wie kann ein Guthaben der Kunden, welches jederzeit sofort fällig ist, zur Refinanzierung langfristiger Darlehen herangezogen werden? Wie oft muss ein Guthaben, welches sofort fällig ist, verlängert werden um daraus eine Fristentransformation abzuleiten? Mathematisch gesehen strebt die Wiederholungsrate gegen unendlich. Das Modell der Fristentransformation hat spätestens hier eine Grenze erreicht.

Bodensatz

Die Bank greift deshalb auf die Erfahrung zurück, dass sich auf den Girokonten immer ein gewisser "Bodensatz" bildet, der für Überweisungen und Auszahlungen nicht benötigt wird. Den Bodensatz kann sie deshalb zur Refinanzierung langfristiger Kredite heranziehen. Diesen Vorteil nutzten bereits die ersten "Zettelbanken" aus, indem sie mehr Bezugsscheine ausstellten als "echtes Geld" in ihren Tresoren vorhanden war. Auch bei anderen kurz- bis mittelfristigen Einlagen bildet sich ein Bodensatz, da diese Einlagen entweder automatisch verlängert werden oder aber in einer Vielzahl der Fälle die Kunden ihre fällig gewordenen Einlagen erneut anlegen.

Verrechnung

Das oben genannte Beispiel ging davon aus, dass Anton den Darlehensbetrag komplett von der Bank abzieht und auch keine gegenläufigen Zahlungen erfolgen. Dies widerspricht jedoch der Bankpraxis. Ein Teil der Darlehenssumme verbleibt im Kundenkreis der Bank und benötigt deshalb keine Refinanzierung. Auch werden ausgehende Zahlungen teilweise durch eingehende Zahlungen kompensiert, sodass nur der Unterschied refinanziert werden muss.

Bankkalkulation

In der "Durchschnitts-Zinsertragsbilanz", einer Grundlage für die Bankkalkulation, werden deshalb die tatsächlich gezahlten und eingenommenen Zinsen dargestellt. Diese repräsentieren damit sämtliche Einlagen- und Anlegearten. Sowohl Girokonten mit 0 % Zinsen wie auch Schuldverschreibungen der Bank mit vielleicht 4 % Zinsen sind darin enthalten. Die heute überwiegend angewandte "Marktzinsmethode" geht hingegen vom Unterschied zwischen Kapitalmarktzins und Geldmarktzins aus. Wird das Darlehen aktivseitig noch nachvollziehbar an einer gleichlangen Anlage auf dem Kapitalmarkt verglichen, stellt sich bei der Passivseite die Frage nach der anzunehmenden Frist und damit der Auswirkung der Fristentransformation. Bei Tagesgeld ist der Einfluss der Fristentransformation entsprechend größer als bei 3-Monatsgeld. Von welchem Zeitraum die Bank bei ihrer Kalkulation hier ausgeht bleibt wohl ein Geheimnis der Bank.

Zusammenfassung

Neben der Betragstransformation (Losgrößentransformation) und der Risikotransformation ist die Fristentransformation ein wesentliches Leistungsmerkmal der Banken. Ein auf den ersten Blick typisches Beispiel für unbesicherte Leerverkäufe, bei denen die verkauften Waren erst später beschafft werden. Die Bankbilanzen lassen den Umfang dieser Leerverkäufe kaum erkennen. In ihr werden nur Vermögenswerte am Bilanzstichtag aufgeführt und keine Durchschnittswerte oder künftig zu erwartenden Werte. Der Zeitfaktor von Forderungen und Verbindlichkeiten ist nur ganz grob aus den Unterpositionen der Bilanz erkennbar.

Die Fristentransformation stellt sich bei näherer Untersuchung als theoretisches Modell heraus, welches nur einen isoliert betrachteten theoretischen Geschäftsvorgang zutreffend beschreibt. Das Modell täuscht vor, dass für jede langfristige Kreditvergabe entsprechend viele kurzfristige Einlagen erforderlich werden. Bereits durch interne Überweisungen und Verrechnung von aus- und eingehenden Zahlungen stellt sich jedoch ein bedeutend geringerer Bedarf an Refinanzierungen heraus. Somit müssen keineswegs Spareinlagen zwingend vorhanden sein um ein Darlehen auszuzahlen, weder vor noch nach dem Darlehensvorgang selbst. Die Einbeziehung von Girokonten ohne jegliche Festlegungsfrist als Bestandteil einer Fristentransformation entbehrt zwar jeder mathematischen Regel und doch wird sie mit berücksichtigt. Jedoch ist auch der Umkehrschluss nicht zutreffend, dass für Darlehen keinerlei Spareinlagen benötigt werden. Die Lösung liegt irgendwo zwischen diesen beiden Extrempositionen.

Nachtrag 1/2018

Die Fristentransformation ist für die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht BaFin ein wichtiger Indikator für die Risikobewertung von Finanzdienstleistern. So heißt es in der Mitteilung "Keine Fristentransformation – keine Schattenbank" von PWC/Deutschland[3]

Die BaFin hat mit Schreiben vom 4. August 2015 gegenüber dem Bundesverband deutscher Leasing-Unternehmen erklärt, dass sie von einer Anwendung der künftigen EBA-Leitlinien auf Geschäftsbeziehungen von beaufsichtigten Leasingunternehmen absehen wird, so lange keine Hinweise darauf erkennbar sind, dass die Fristentransformation in einem erwähnenswerten Umfang Teil des Geschäftsmodells der Leasinggesellschaften wird.



Einzelnachweise

<references >

  1. FristentransformationWikipedia, Abruf 20.08.2016
  2. Bankmanagement Hans-Peter Burghof, Universität Hohenheim, Wintersemester 2008/2009, Abruf 20.08.2016
  3. Keine Fristentransformation – keine Schattenbank, Abruf 27.2.2018