In der oben genannten Studie (
http://www.shaker.de/shop/978-3-8322-9943-9) habe ich auf mathematisch-statistischem Wege gezeigt, dass die Schuldenkrise unvermeidbar auf einen globalen Staatsbankrott zusteuert und nach dem Zusammenbruch die Umschuldung der Weltstaaten anstehen wird.
Zu beiden Problemkreisen wurden mir im Sommer 2009 im alten Querschüsse-Forum Fragen gestellt und von mir beantwortet. Ich gebe unten diese Fragen und Antworten wieder und hoffe, dass sie in diesem ziemlich ruhigen Forum zu lebhaften Diskussionen Anlass geben.
Halil Güvenis
Frage: Ich finde es interessant, gestehe aber gleich ein, dass ich deinen Berechnungen nicht folgen kann. Das geht über meinen Horizont. Beim Anblick der ganzen Formeln krieg ich Schweißhände und längst vergessen geglaubte Schulkrisen steigen im Geiste auf... Also müsste zuerst jemand das Problem und das Lösungsmodell in verständlicher Form erklären. Deshalb die Frage: Hast du eventuell vor, das, was du sagst, in einer weiteren Arbeit so einfach zu erklären, dass es für halbwegs interessierte „Normalbürger“ verständlich wird?
Antwort: Ich versuche also den Inhalt meiner mathematisch-statistischen Arbeit, so gut es geht, in paar kurze Sätze zu fassen: Es geht in meiner Arbeit vordergründig um das Gleichgewicht zwischen Produktion und Konsum. Während die Produktion nach objektiven Gesetzen abläuft, funktioniert der Konsum weitgehend subjektiv.
Ich versuche zuerst die Objektivität der Produktion zu erklären. Man spricht von Produktion, wenn eine bestimmte Menge von Sachgütern und Arbeitnehmern zusammenkommen, um ihre Tätigkeit in einer gewissen Anzahl von Produkten zu vergegenständlichen. Dabei steht es nach technischen Gegebenheiten der betreffenden Geschichtsepoche von vorneherein fest, welchen Anteil der Verbrauch der Sachgüter an der Produktion hat und wie schnell sich die Sachgüter abschreiben lassen. Da historisch gesehen die technologische Entwicklung immer mehr um sich greift, darf vorausgesagt werden, dass sowohl der Anteil der Sachgüter an der Produktion als auch die Abschreibungsgeschwindigkeit (die Produktivität) beständig zunehmen.
Wenn also die Abschreibungsquote und die Abschreibungsgeschwindigkeit historisch vorgegeben sind und gesamtgesellschaftlich der Vorrat an Sachgütern feststeht, dann kann ich mit einiger Sicherheit im Voraus berechnen, welche Menge von Produkten in der betreffenden Produktionsperiode erzeugt werden und wie groß die zum Vorrat neu hinzugefügten Sachgüter (Bruttoinvestitionen) sein müssen. – Diese mathematische Berechenbarkeit nenne ich die Objektivität der Produktion… Die Objektivität geht soweit, dass ich nicht nur die Bruttoinvestitionsquote, sondern auch die historisch notwendige Gesamtkonsumquote berechnen kann, weil, wenn ich von der Gesamtproduktionsmenge die Bruttoinvestitionen abziehe, der Gesamtkonsum übrig bleibt. Diese historisch notwendige Gesamtkonsumquote muss durch die Gesamtnachfrage aller Wirtschaftssubjekte erfüllt werden, wenn zwischen Produktion und Konsum Gleichgewicht herrschen soll.
Da jedoch die privaten Haushalte beim Ausgeben ihres Einkommens sich dessen gar nicht bewusst sind, dass sie mit dieser Handlung die von der Produktion her gegebene, historisch notwendige Gesamtkonsumquote zu erfüllen haben, darf der Konsum insgesamt als subjektiv bezeichnet werden. Die einzige objektive Tendenz, der die privaten Haushalte folgen, ist, dass sie mit zunehmender Einkommenshöhe mehr sparen als konsumieren und in Krisenzeiten dies umso stärker tun... Das Gleichgewicht zwischen Produktion und Konsum kann aber dennoch bewahrt werden, weil das Sparen der privaten Haushalte im Normalfall von ihren Nettoinvestitionen absorbiert wird. Wird allerdings das Sparen der privaten Haushalte in einer bestimmten Geschichtsepoche (z. B. USA 1929!) größer als die durch Produktivitätssteigerungen gesenkten Nettoinvestitionen, dann entsteht eine Systemkrise; der „frei schwebende“ Teil der Ersparnisse muss wieder in den Wirtschaftskreislauf zurückgeführt werden. Daraufhin erklärt sich der Staat bereit (Roosevelts New Deal!), den „frei schwebenden“ Teil des Sparens der privaten Haushalte durch Staatsverschuldung zu übernehmen und der Produktion und dem Konsum zurückzuführen.
Das so ins Gleichgewicht gebrachte Wirtschaftssystem kann so lange gut funktionieren, solange die Staatsschulden nicht erdrückend werden. Wird jedoch die Produktivität so groß, dass die Nettoinvestitionen gegen null streben und das Nullwachstum allein durch erhöhte Abschreibungsgeschwindigkeit erreicht werden kann, – was in unseren Tagen der Fall ist – dann schlägt für den Staat endgültig die Stunde der Wahrheit: Die Aufgabe der Nettoinvestitionen, das Sparen zu absorbieren, muss vollständig vom Staat übernommen werden und das Wirtschaftssystem lässt sich dadurch unweigerlich in einen globalen Staatsbankrott treiben… Damit ist das kapitalistische System historisch zu Ende und muss durch ein neues Wirtschaftssystem ersetzt werden, das vom Negativwachstum und von schrumpfenden Nettoinvestitionen ausgeht.
Frage: Die einmalige proportionale Vermögenssteuer ist nicht die einzige Maßnahme, die du zur Lösung der Schuldenfrage vorschlägst: „Parallel zu dieser Maßnahme wird weltweit eine Umschuldungsaktion vorgenommen, durch die die Staatsschulden neu strukturiert und konsolidiert werden.“ – Kannst du bitte kurz ausführen, wie die Umschuldung der Weltstaaten aussehen soll?
Antwort: Die Weltstaaten sind deshalb so hoch verschuldet, weil ihr Finanzierungssaldo (FSSt = SparenSt – NettoinvestitionenSt) nicht ausgeglichen ist. Daraus folgt, dass die Umschuldung der Weltstaaten so vorzunehmen ist, dass die historisch aufsummierten Finanzierungssalden der Wirtschaftssektoren gegeneinander ausgeglichen werden und zum Schluss die privaten Haushalte für die Restschulden aufkommen… Im Fall der USA sieht die Umschuldung folgendermaßen aus: In den Jahren 1929-2008 betrug die historische Summe der Finanzierungssalden der Wirtschaftssektoren (in Milliarden USD)
+ Privat 383,9
+ Staat -8.100,9
+ Ausland 7.717,0
= 0 .
Demnach besteht die Umschuldung der USA im Jahr 2008 darin, dass das Ausland 7.717,0 Milliarden USD an den US-Staat zahlt und der Privatsektor durch eine einmalige proportionale Vermögenssteuer für die Restsumme von 383,9 Milliarden USD aufkommt. – Wenn nun alle Staaten der Welt nach gleichem Prinzip wie in den USA umschulden würden, dann würden sich weltweit negative und positive Auslandsschulden gegeneinander aufheben und die Weltstaaten wären schuldenfrei!
Natürlich wäre dieser Lösungsvorschlag für die Weltvölker nur dann akzeptabel, wenn historisch gesehen der Beweis geliefert worden ist, dass hohe Staatsschulden das Wirtschaftssystem in die Katastrophe führen und deshalb in der neuen Geschichtsepoche die Finanzierungssalden der Wirtschaftssektoren prinzipiell gegeneinander ausgeglichen sein müssen.