Autor Thema: Komplexität  (Gelesen 8989 mal)

Mumken

  • Sr. Mitglied
  • ****
  • Beiträge: 291
    • Profil anzeigen
Komplexität
« am: 16. Juni 2012, 22:58:01 »
Egon W. Kreutzer beschreibt in seinem Artikel "Der Tag X" verschiedene Auslöser, Folgen und Gegenmaßnahmen zu unserer jetzigen Wirtschaftskrise. Aus seinem beruflichen Leben beschreibt er die Instabilität von komplexen technischen Systemen.

http://www.egon-w-kreutzer.de/0PaD2012/23.html (wurde bereits im Thema Geldsystem erwähnt)

Komplexe, das heißt vielschichtige, unübersichtliche und komplizierte Systeme neigen dazu, an ihrer eigenen Komplexität zu Grunde zu gehen. Herr Kreutzer bezog dies auf die Erfahrungen mit einem Telefonsystem, in welches man neben dem Telefonieren auch gleich noch sehr viele andere Servicefunktionen integrieren wollte. Das System scheiterte an den Wechselfunktionen, da niemand mehr imstande war, das System in seiner Gesamtheit zu verstehen und die entsprechenden Entscheidungen zu treffen. Komplexität ist demnach das Gegenteil von Einfachheit, Berechenbarkeit und Überschaubarkeit. Zugegebenermaßen etwas extrem formuliert, aber den Kern der Sache treffend.

Dies erinnert mich an eigene berufliche Erfahrungen anlässlich der Einführung von EDV-Arbeitsmitteln zur frühzeitigen Erkennung von Fehlentwicklungen in der Planung von Projekten. So sollte der Arbeitsaufwand bei der Planung und Ausführung von Projekten projektbegleitend festgehalten und auch bewertet werden. Bei Fehlentwicklungen sollte so frühzeitig noch eingegriffen werden können. Mit einem solchen Instrument auf EDV-Basis konnten natürlich sämtliche anstehenden Projekte erfasst werden und noch gleichzeitig eine Personalplanung auf den Tag bezogen integriert werden. Auch eine Urlaubsplanung konnte in dieses Berechnungsverfahren einfließen. Die Details muss man jetzt nicht verstehen, sondern nur das Ergebnis. Ein System war dermaßen überfrachtet worden, dass niemand der Anwender dessen Sinn noch wirklich verstand und es infolge der aufwändigen Datenpflege auch nur halbherzig betreut wurde.

Weniger wäre hier mehr gewesen.

Wie so viele neu eingeführten Steuerungsinstrumente dümpelt nun auch dieses vor sich hin. Ob es seine Anschaffungskosten je einfahren wird ist ungewiss.

Diese überbordende Regelungswut kann man jedoch auch in anderen Bereichen feststellen. Weshalb müssen wir uns einen teuren Spezialisten einkaufen, wenn wir

  • nicht unnötig viel Steuern bezahlen möchten,
  • Recht bekommen wollen
  • Geld anlegen möchten
  • die günstigste Versicherung abzuschließen wünschen

In so vielen Bereichen sind Entscheidungen so kompliziert geworden, dass wir nur noch mit Hilfe von Experten weiterkommen. Dass kann eigentlich nicht Sinn und Zwecke einer Gesellschaft sein? Denn es handelt sich doch eigentlich nur um eine brotlose Kunst.

Die Politiker sieht Herr Kreutzer ebenfalls in einer Lage, in welcher sie die Komplexität Ihrer zu treffenden Entscheidungen nicht mehr überblicken können und sich deshalb beraten lassen müssen. Es fragt sich nur, wer sich als Berater anbietet, und das sogar noch kostenlos. Irgendwie muss die Lobbyindustrie doch auch zu Profiten ihrer Brötchengeber beitragen. ;)

Beste Grüße

Rudi

Eurelios

  • Intern
  • Sr. Mitglied
  • ****
  • Beiträge: 309
    • Profil anzeigen
    • E-Mail
Re:Komplexität
« Antwort #1 am: 17. Juni 2012, 12:41:02 »
Hallo Rudi,

Du schreibst:


Es fragt sich nur, wer sich als Berater anbietet, und das sogar noch kostenlos. Irgendwie muss die Lobbyindustrie doch auch zu Profiten ihrer Brötchengeber beitragen.

Von wegen kostenlos  ;D Siehe dieses:

Die Gier nach Macht und Einfluss

Prof. Karl Jurka

österreichischer Lobbyist in Berlin

Sendung vom Montag, 21.5. | 10.00 Uhr | SWR1 Baden-Württemberg
 
Prof. Karl Jurka kostet 650 Euro pro Stunde, plus Mehrwertsteuer plus Spesen.


http://www.swr.de/swr1/bw/programm/leute/-/id=1895042/nid=1895042/did=9680222/n750y2/index.html

Wenn Du wissen willst wie die Lobbyindustrie wirklich funktioniert kannst es mal anhören.

Viele Grüße

Günter

Mumken

  • Sr. Mitglied
  • ****
  • Beiträge: 291
    • Profil anzeigen
Re:Komplexität
« Antwort #2 am: 18. Juni 2012, 09:17:05 »
Hallo Günter,

Du zweifelst das "Kostenlose" an:

Hallo Rudi,

Es fragt sich nur, wer sich als Berater anbietet, und das sogar noch kostenlos. Irgendwie muss die Lobbyindustrie doch auch zu Profiten ihrer Brötchengeber beitragen.

Von wegen kostenlos  .........


Ich wollte damit ausdrücken, dass der Rat der Lobbyisten für den Politiker kostenlos ist.

Die 650 € zzgl. Mehrwertsteuer für 1 Std. Lobbyarbeit muss der Brötchengeber des Lobbyisten zahlen. Er wird dies nur tun, wenn er es als eine gut angelegte Investition ansieht. 

Den Beitrag von SWR1 habe ich mit angehört, auch wenn Du dieses Mal auf eine Zeitangabe verzichtest hast. ;D
Ob die Lobbyarbeit wirklich so funktioniert wie der Auftragslobbyist Prof. Karl Jurka, als Mitglied dieser Zunft sie darstellen möchte, ist für mich noch mit einigen Fragezeichen versehen.

Auf der Internetseite von Herrn Jurka ist zu lesen:
Zitat

Wir verstehen uns als Übersetzer zwischen den Entscheidungsträgern in Politik und Wirtschaft.

Wir erklären den Menschen in der Wirtschaft in der Sprache der Wirtschaft politische Vorgänge.

Wir erklären den Menschen in der Politik in der Sprache der Politik wirtschaftliche Vorgänge.

Mit unserem europaweiten Netzwerk und mit einer für unsere Klienten maßgeschneiderten Strategie bringen wir Ihre Geschäftsinteressen auf die politische Ebene. Unser Erfolg spiegelt sich im Erfolg unserer Klienten wider.

Herr Prof. Karl Jurka bezeichnet sich selbst als „strategischen Politikberater“, als Interessenvertreter der Wirtschaft,  ist aber auch mit der Bezeichnung Lobbyist einverstanden. In Berlin sind derzeit etwa 5.000 Lobbyisten tätig.

„Weil die meisten politischen Amtsträger keine ökonomische Ausbildung haben, daher nicht ganz verstehen wie Wirtschaft eigentlich tickt, stehen wir dazwischen als Brückenbauer und übersetzen Wirtschaftsinteressen in die Sprache der Politik. So zum Beispiel die Funktion und Berechnung von Derivaten oder die Finanztransaktionssteuer“

„Die Politiker brauchen Gesprächspartner die ihnen aushelfen können diese Problematiken zu verstehen, z.B. die Privatsektorbeteiligung bei Griechenland.“

Wären nicht die kräftigen Stundensätze so müsste man die Zunft der Lobbyisten, auf Grund ihrer hehren Ziele, für einen Verdienstorden vorschlagen. ;)

Grüße aus der Eifel

Rudi

Mumken

  • Sr. Mitglied
  • ****
  • Beiträge: 291
    • Profil anzeigen
Re:Komplexität
« Antwort #3 am: 19. Juni 2012, 05:46:28 »
Noch ein kleiner Nachtrag zum SWR1 Interview mit Prof. Karl Jurka.

Zitat
"Ich bin für die Finanztransaktionssteuer, allerdings für eine einheitliche Regelung, nicht nur in Deutschland"

Da die Wahrscheinlichkeit einer "einheitlichen Regelung" zu "null" tendiert, kann man gefahrlos diese Aussage treffen, auch wenn man eigentlich gegen eine solche Steuer ist. Da aber zur Zeit eine Befürwortung in den Medien besser ankommt, ist dies ein wunderbarer Trick als Verfechter der Transaktionssteuer aufzutreten ohne je deren Zustandekommen befürchten zu müssen.
Auch die FDP ist für die Transaktionssteuer, wenn Kleinanleger ausgenommen werden und keine Verlagerung von Finanzplätzen zu befürchten ist. Auch hier ist ein Zustandekommen nicht zu befürchten. ;)

Beste Grüße

Rudi

Eurelios

  • Intern
  • Sr. Mitglied
  • ****
  • Beiträge: 309
    • Profil anzeigen
    • E-Mail
Re:Komplexität
« Antwort #4 am: 19. Juni 2012, 21:49:31 »
Lieber Rudi,

Du schreibst:

Da die Wahrscheinlichkeit einer "einheitlichen Regelung" zu "null" tendiert, kann man gefahrlos diese Aussage treffen, auch wenn man eigentlich gegen eine solche Steuer ist. Da aber zur Zeit eine Befürwortung in den Medien besser ankommt, ist dies ein wunderbarer Trick als Verfechter der Transaktionssteuer aufzutreten ohne je deren Zustandekommen befürchten zu müssen.

Bin vollkommen bei Dir, wenn man das ganze Gespräch angehöhrt hat bekommt man sowieso den  Eindruck das dieser Lobbyismus nur
das wiederspiegelt was leider menschlich ist.

Wie bekommme ich auf Kosten anderen Menschen zu meinen Vorteilen.

Es ist doch genauso wie ich vor langer Zeit mal geschrieben habe:

Der Mensch hat bis Heute nicht seine Urängste überwunden.

Das heißt:

Wer nicht ``Oben ist, ist Unten und wird gefressen``

Grüße von

Günter