Autor Thema: Das Multilaterale Abkommen über Investitionen - Grundstein der Deregulierung  (Gelesen 4981 mal)

Matthias

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MAI - Grundstein der Deregulierung

Bei Wikipedia heißt es dazu:

Das Multilaterale Abkommen über Investitionen (MAI) ist ein internationales Vertragswerk zwischen transnationalen Konzernen, den OECD-Staaten und der Europäischen Union. Es hätte in den Unterzeichnerstaaten direkte Auslandsinvestitionen fördern sollen. Dazu hätten die Rechte internationaler Investoren umfassend gestärkt werden sollen. Der Investitionsschutz im Rahmen des MAI wurde von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung erarbeitet und wäre über den von der Welthandelsorganisation gewährten Investitionsschutz hinausgegangen. Das MAI sollte auch Nicht-OECD-Mitgliedern offen stehen. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit begannen 1995 die Verhandlungen zwischen Wirtschaft und Politik mit Einbezug der Entwicklungsländer. 1997 wurden sie durch eine Indiskretion bekannt und zunächst in Kanada, den USA und etwas später in Europa, unter zurückhaltender Berichterstattung der Massenmedien, öffentlich diskutiert. Aufgrund des sich daraufhin formierenden zivilgesellschaftlichen Widerstands wurde im September 1998 von 450 Vertretern multinationaler Konzerne eine Erklärung abgegeben:
„Die Entstehung von Aktivistengruppen droht die öffentliche Ordnung, die rechtmäßigen Institutionen und den demokratischen Prozeß zu untergraben. […] Es müßten Regeln aufgestellt werden, um die Legitimität dieser aktivistischen regierungsunabhängigen Organisationen zu klären, die vorgeben, die Interessen großer Teile der Zivilgesellschaft zu vertreten.“
– GENEVA BUSINESS DIALOGUE
Die Verhandlungen wurden trotzdem zunächst ausgesetzt. Im Dezember 1998 scheiterte das MAI am Widerstand Frankreichs. Trotz des offiziellen Scheiterns wurden viele MAI-Ideen seitdem in die Regelwerke der großen Wirtschaftsgemeinschaften der Welt aufgenommen. Mit dem gescheiterten Vertrag über eine Verfassung für Europa hätten die Regelungen in Europa Verfassungsrang bekommen.


Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Multilaterales_Investitionsabkommen


In einem Artikel vom 24.04.1998 von Claudia von Werlhof mit dem Titel „Das »MAI«, ein Ermächtigungsgesetz für die Multis“, heißt es u.a.:

Der Unterschied zu bisherigen Abkommen ... besteht darin, daß durch das MAI diese Tendenzen nicht nur bestätigt werden, sondern darüberhinaus in "Reinkultur" zur globalen Verfassung, also zum Gesetz werden sollen, was heißt, daß jeder Widerstand dagegen, ja jede bloße Infragestellung des MAI und seiner Folgen letztlich kriminalisiert werden kann...

Quelle: http://www.nadir.org/nadir/initiativ/agp/free/mai/ermaechtigungsgesetz.htm


Nachdem das Abkommen im Oktober 1998 gescheitert war, traf sich der Ministerrat der WTO Ende November 1999 in Seattle zur sog. „Millenniumrunde“. Dort wurde die Liberalisierung der Weltwirtschaft beschlossen. Die Vertragswerke wurden von vielen Fachleuten als antidemokratisch eingeschätzt. In einer 'Salami-Taktik', die weiteren Widerstand verhindern sollte, wurden die Beschlüsse Stück für Stück umgesetzt.
Ein wesentlicher Punkt ist hierbei zweifellos der Abbau von Einschränkungen im internationalen Kapitalverkehr.
Dass wir mit erstaunlicher Regelmäßigkeit zu lesen, zu sehen und zu hören bekommen, dass Konzerne trotz Milliardengewinnen keinen Cent Steuern zahlen, ist eine Folge davon. Das liest sich dann z.B. so, wie in einem Beitrag des Wirtschaftsjournalisten Markus Gärtner in einem Artikel vom 15.2.2011:

Die wahre Zerreißprobe für westliche Gesellschaften
[...]
In dem Huffpost-Bericht wird dargelegt, dass die Steuereinnahmen sich in Wisconsin seit Beginn der 80er Jahre halbiert haben und dass zwei von drei Firmen gar keine Steuern zahlen.
[...]
Die Gesellschaft im Ursprungsland – dem Heimatmarkt, der in Wahrheit schon lange keiner mehr ist – wird noch in Anspruch genommen, aber gesellschaftliche und soziale Gegenleistungen sind Fehlanzeige oder sehr ausgedünnt. Das blutet unsere Gesellschaften auf Dauer aus. Keine Jobs, keine Steuern, gleichzeitig die Plünderung von Steuerassets – und auch die Entwertung der Ersparnisse von Menschen durch eine entfesselte Geldflut, die den Banken die Refinanzierung erleichtert – das ist nicht nur langfristig Sprengstoff für eine ganze Gesellschaft.
[...]


Quelle: http://blog.markusgaertner.com/2011/02/15/die-wahre-zerreisprobe-fur-westliche-gesellschaften/


Oder wie in dieser Kolumne bei n-tv, in der wir erfahren, dass z.B. General Electric im Jahr 2010 einen Reingewinn von 14,2 Milliarden Dollar erzielt, aber keinen Cent Steuern gezahlt hat:

Wahnsinn regiert die US-Steuerpolitik
von Lars Halter, New York
[...]
Corporate America klagt etwa seit Jahren über "den höchsten Gewerbesteuersatz der Welt". Das ist faktisch nicht falsch, denn mit 35 Prozent liegt der Steuersatz für Unternehmen tatsächlich höher als in anderen Industrie-Nationen. Allerdings zahlt kein Unternehmen diesen Satz, denn mit geschickter Buchführung lässt sich einiges sparen.
[…]


Quelle: http://www.n-tv.de/wirtschaft/kolumnen/Wahnsinn-regiert-die-US-Steuerpolitik-article2973991.html


Wie Unternehmen dabei vorgehen, erfährt man z.B. bei Wikipedia unter dem Stichwort „Steueroasen“. Dort heißt es im Absatz „Methoden der Nutzung“:

Es gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten, die eigene Steuerlast unter Nutzung von Steueroasen zu optimieren. Allen gemeinsam ist das Ziel, Einkommen, das in Hochsteuerländern erzielt wird, nicht dort versteuern zu müssen.

Privatpersonen können durch Verlagerung ihres Wohnsitzes Steuerzahlungen entgehen, siehe Boris Becker, Michael Schumacher, Stefanie Graf. Der Anteil der verlagerten Einkommen von Privatpersonen wird in den USA auf etwa zehn Prozent der gesamten verlagerten Einkommen geschätzt. Für Unternehmen gibt es viele Wege, anfallende Gewinne zu verschieben:
 - Das Unternehmen kann eine Tochterfirma für seine Auslandsgeschäfte in einer Steueroase gründen, um so Steuern auf repatriierte Gewinne zu vermeiden.
 - Das Unternehmen kann Investitionen in Hochsteuerländern mit Krediten von Töchtern finanzieren, die in Niedrigsteuerländern angesiedelt sind. Es fallen so im Hochsteuerland keine (oder weniger) Gewinne an, da Zinszahlungen an die Tochter zu leisten sind.
 - Leistungen, die innerhalb eines Konzerns erbracht werden, können so verbucht werden, dass Gewinne aus Hochsteuerländern abgezogen werden. Zum Beispiel kann das Verwertungsrecht an einem Patent in einer Steueroase liegen und das inländische Unternehmen zahlt dafür Lizenzgebühren an seine ausländische Tochter. Dies ist ein legaler Vorgang, solange marktübliche Preise gezahlt werden; ob das der Fall ist, ist allerdings schwer zu überprüfen, da ein Markt dafür nicht existiert.


Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Steueroase


Über die geschätzten Summen erfährt man z.T. im Abschnitt „Problematik von Steueroasen“ im dtspr. Wikipedia:

Als problematisch wird bei Steueroasen gesehen, dass sie größere Staaten in einen Wettbewerb um niedrige Steuern verwickeln. Während diese ein komplexes Gemeinwesen aufrechterhalten sowie Infrastruktur zur Verfügung stellen und damit Maßnahmen treffen, die für ein reibungsloses Funktionieren des Wirtschaftslebens und damit der Weltwirtschaft unverzichtbar sind, halten sich Steueroasen aus diesen Bereichen heraus, profitieren aber vom Funktionieren der Weltwirtschaft. Die NGO Tax Justice Network schätzt die durch Offshore-Finanzplätze entgangenen Steuereinnahmen auf weltweit etwa 255 Milliarden Dollar pro Jahr. Die entgangenen Steuereinnahmen der USA werden auf etwa 70 Milliarden Dollar geschätzt.


Diese Summen erscheinen jedoch eher viel zu gering, setzt man die Schätzungen der OECD an, die
im englischsprachigen Wikipedia Erwähnung finden:

Estimates by the OECD suggest that by 2007 capital held offshore amounts to somewhere between US$5 trillion and US$7 trillion, making up approximately 6–8% of total global investments under management. Of this, approximately US$1.4 trillion is estimate to be held in the Cayman Islands alone.

Quelle: http://en.wikipedia.org/wiki/Tax_haven


Die OECD also schätzt die dort befindlichen Summen (Stand 2007) auf sagenhafte 5 bis 7 Billionen US-Dollar! Davon alleine 1,4 Billionen auf den Caymans … Bei einem recht niedrig angesetzten Steuersatz von nur 10% entspräche das schon einer Summe von immerhin 500-700 Milliarden $.

Nur der Vollständigkeit halber sei noch folgender Punkt im dt. Wikipedia unter „Kritik an Einteilung in Steueroasen“ erwähnt:

… So zählen die britischen Kanalinseln trotz ihrer Trustgesetzgebung und einige US-Bundesstaaten zu bekannten Plätzen der internationalen Geldwäscherei. Ein Indiz dafür ist die Möglichkeit, anonym eine Firma zu gründen, wie der australische Professor Jason Sharman erklärt. Die Gründung einer anonymen Firma wird im Internet offensiv beworben, wobei Großbritannien, Spanien, oder Panama und immer noch sowohl die Niederländischen Antillen als auch andere Karibikstaaten empfohlen werden.
Offenbar war die wirtschaftliche Macht dieser Länder aber ein Grund, nicht gegen diese Zentren vorzugehen, obwohl Schätzungen allein für den US-Bundesstaat Delaware von etwa 6.000 Milliarden Dollar (= 6 Billionen) an verwalteten Vermögen ausgehen.



(Selbstverständlich machen auch Banken von diesen Methoden zur Vermeidung von Abgaben und Steuerzahlungen reichlich Gebrauch …)



Ein Video über das MAI auf youtube:


MAI Small | Large




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If you have an apple and I have an apple and we exchange these apples then you and I will still each have one apple. But if you have an idea and I have an idea and we exchange these ideas, then each of us will have two ideas.
  --  George Bernard Shaw

Mumken

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Die Macht von Hedgefonds
« Antwort #1 am: 25. Oktober 2012, 08:44:22 »
Auch ohne Umsetzung des MAI sind Hedgefonds schon dabei, international gegen Staaten vorzugehen, die Ihre Schulden nicht bezahlen. Zwar haben die Hedgefonds die Schuldentitel zu einem Schnäppchenkurs erworben, drängen nun aber auf Zahlung des vollen Nennwertes. Mit welchen Tricks die Schulden ursprünglich entstanden sind, ist absolut zweitrangig. Es spielt auch keine Rolle zu welchem Preis diese Schuldentitel erworben wurden.

n-tv

Hedgefonds jagen Pleitestaaten

http://www.n-tv.de/wirtschaft/Hedgefonds-jagen-Pleitestaaten-article7533791.html

Aber so neu ist die Situation nun auch wieder nicht. Als um 1900 Venezuela Schuldendienstzahlungen einstellte, blockierten die Gläubigerlander, Deutschland, Großbritanien, und Italien 1902 die Häfen La Guiara und Puerto Cabello mit Erfolg. 1903 lenkte der venezolanische Präsident ein.
(Schulden ohne Sünden? Seite 108, Kai A. Konrad und Holger Zschäpitz, C.H.Beck, 2010)

Volker Pispers mit einem etwas anderen Zungenschlag.

Staatsverschuldung
"Wer ist kreditwürdig?
Die Amis, denn die haben eine Armee und kommen sich das sonst HOLEN."


Volker Pispers - Staatsverschuldung


Wer regiert die Welt?
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Rudi