Autor Thema: Heinsohn/Steiger - Kapiatalismus als Eigentumsökonomie  (Gelesen 6484 mal)

Matthias

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Heinsohn/Steiger - Kapiatalismus als Eigentumsökonomie
« am: 05. September 2012, 14:08:50 »

Ich möchte dazu nur einige Anmerkungen machen und werde versuchen, mich kurz zu fassen.
Die von H/S entwickelte Eigentumsökonomie ist keine Theorie, die eine Lösung irgend eines Problems für sich beansprucht. Es ist der Versuch, den Kapitalismus so zu beschreiben, wie er ist.

Ich möchte anhand der Kritik von Bernd Senf veranschaulichen, wie stets ein Wunsch, eine Ansicht, eine Meinung, ein Weltbild in Schriften ANDERER projiziert werden, die dort nicht zu finden sind.

Vorab: Haben H/S mit allem recht, was sie dort schildern? Nein, offensichtlich nicht. Aber sie haben eine Grundlage geschaffen, mit deren Hilfe man den Kapitalismus (endlich) verstehen kann ...

Bernd Senf räumt folgendes ein:
Zitat
... weil auch an manchen Fundamenten meiner bisherigen Denkweise gerüttelt wird und ich mich möglicherweise innerlich erst einmal dagegen sträube ...


das ist leider von vornherein keine gute Voraussetzung, um sich möglichst objektiv mit einer Sache auseinander zu setzen ...

Dann kommt er zum springenden Punkt, der in der Tat zu Fehlschlüssen bei H/S führt, sie gehen nämlich nicht weit genug in der Geschichte zurück.
Zitat
Indem Heinsohn/Steiger bei der Suche nach den Ursprüngen des Wirtschaftens in der Geschichte zwar weit, aber nicht weit genug zurückgehen, bleiben sie erkenntnismäßig in einer Phase der Geschichte stecken, in der die Gewalt schon Einzug in die menschliche Gesellschaft und in die emotionale Struktur der Individuen gehalten hatte, in der die Menschen bereits von ihren materiellen Wurzeln (der unmittelbaren Verbundenheit mit dem Boden bzw. der Natur) und ihren spirituellen Wurzeln abgeschnitten, entwurzelt waren.
Entsprechend neigen sie dazu, die dort vorgefundenen Destruktivitäten und Zwänge zu verabsolutieren und daraus den Trugschluß zu ziehen, daß sich ohne Gewalt oder Zwang nichts und niemand bewege - vor allem nicht in Richtung Produktivität.


Der erste Teil ist richtig, dann aber wird wieder gewertet. Was H/S beobachten, wird einfach zu einer Ansicht umgemodelt, die überhaupt nicht vorhanden ist, außer bei Bernd Senf selbst ...

Das geht im Text so weiter, wie auch dieses Beispiel zeigt:
Zitat
Ohne Eigentum kein Kredit und Zins, und ohne Kredit und Zins kein Zwang zum Wirtschaften, zum Erwirtschaften von Überschuß oder Profit. Und ohne diesen Zwang gebe es gesamtwirtschaftlich keine Steigerung der Produktivität und des materiellen Wohlstands, gebe es kein Wirtschaftswachstum.
...
Wenn es Heinsohn und Steiger nur darum ginge, eine Erklärung für die Dynamik der Eigentumswirtschaft und für die geringere Dynamik oder Stagnation von Nichteigentums-Gesellschaften vorzulegen, dann wäre dieses Anliegen akzeptabel. Problematisch aber erscheint mir, daß bei ihnen immer wieder unverkennbar eine Wertung mitschwingt, nach dem Motto: Eigentum gut - Nichteigentum schlecht. Weil die Steigerung der materiellen Produktivität als solche schon positiv gewertet und der mögliche Konflikt zur Entwicklung der menschlichen Produktivität verdrängt wird.


Das ist lediglich eine Beobachtung anhand uns vorliegender Fakten. Man KANN das nun so auslegen, wie es Bernd Senf tut, aber nur wenn man Zwang als etwas positives betrachtet. Ist es das denn ?? ...

Im Text von Bernd Senf ist ein typisches Dilemma zu beobachten:
Stellt jemand fest, dass der materielle Wohlstand im Kapitalismus wächst, wird unterstellt, dass Wachstumsproblematik und Zerstörung übersehen werden - dabei liegt hier überhaupt keine Wertung vor ... und die Verwirrung wird vollends, wenn man behauptet auch andere Wirtschaftsformen würden materiellen Wohlstand und wirtschaftliche Dynamik ermöglichen, nur sind sie dann plötzlich ohne irgendwelche negative Auswirkungen ...
Ja, was denn nun ... ?

Zum Schluss wird dann klar, dass eine Erwartungshaltung vorhanden ist, die überhaupt nicht erfüllt werden kann! Denn in H/S Thesen geht es eben nicht um den visionären Entwurf einer kapitalistischen Gesellschaft und wie diese funktionieren müsste, damit alles besser wird; es ist der Versuch, Kapitalismus zu definieren.
Zitat
So sehr Heinsohn und Steiger mit ihren Forschungen über Patriarchat und Hexenverfolgung zum tieferen Verständnis der damit einhergehenden bzw. eskalierenden Sexualunterdrückung (einschließlich der systematischen Zerstörung des Verhütungswissens) beigetragen haben, so wenig öffnet ihre Eigentumstheorie Perspektiven für eine Wirtschaft im Einklang mit der Natur - für eine „Natürliche Wirtschaftsordnung“. Diejenigen, die nach Wegen heraus aus der Destruktivität des zinsbedingten Wachstumszwangs und der eigentumsbedingten Bodenspekulation suchen, sollten sich auch durch Heinsohn und Steiger nicht davon abhalten lassen.


Darum ging es nie und deshalb MUSS Bernd Senf enttäuscht sein!

Und auch du, Rudi, erwartest etwas, was überhaupt nicht da ist:

Moral, Gerechtigkeit und Macht haben aber in den Beschreibungen unseres Wirtschaftssystems keinen Platz gefunden. Diese sind weder bei Adam Smith in der "unsichtbaren Hand des Marktes" noch in der Eigentumstheorie nach Heinsohn/Martin von Interesse.


Nein, um Gerechtigkeit geht es erst einmal nicht. Es geht darum, heraus zu finden, wo stehen wir, wie funktioniert das ganze WIRKLICH, denn erst dann bin ich in der Lage, eine LÖSUNG zu finden.
Wie sollen Sklaven auf einer Plantage den richtigen Weg zu einem besseren Leben finden, wenn sie nicht einmal erkennen, dass sie Sklaven sind, die auf einer Plantage leben (weil sie seit Generationen nichts anderes kennen und ihnen die Welt ganz anders erklärt wird, als sie ist)?


P.C. Martin (http://www.um-bruch.net/uforum/index.php?topic=155.0) bezieht sich auf H/S und in "Der Kapitalismus" geht er, wie diese, von privaten Schuldner/Gläubiger-Verhältnissen aus. Erst später, z.B. im Vorläufer des "Gelben Forums", wo man sich über historische Quellen noch und nöcher austauscht, korrigiert er das und kommt zu dem Schluss, dass alles seinen Anfang mit der Zivilisation genommen hat, mit der Gründung von Staat, Tempeln, Eigentum.

Vor einigen Monaten ist das Buch des Anthropologen David Graeber, Schulden - die ersten 5000 Jahre, erschienen und siehe da, es deckt sich weitestgehend mit diesen Erkenntnissen.


......




If you have an apple and I have an apple and we exchange these apples then you and I will still each have one apple. But if you have an idea and I have an idea and we exchange these ideas, then each of us will have two ideas.
  --  George Bernard Shaw