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Das Geldrätsel / Banken, Kreditvermittler oder Kreditschöpfer?
« Letzter Beitrag von Mumken am 09. Juni 2013, 11:27:24 »
Viele Auseinandersetzungen über die Geldschöpfung lassen sich auf die Frage reduzieren, sind Banken als Kreditvermittler oder aber als Kreditschöpfer tätig. Mit diesem Thema hat sich Hermann Feifel in seinem Buch "Die Anwendbarkeit der modernen Kreditschöpfungslehre auf die besondere Art des Sparkassengeschäfts", Duncker & Humblot 1959, intensiv beschäftigt.

Ziel der Arbeit war die Untersuchung, ob Sparkassen in der Lage sind, kreditschöpfend tätig zu sein. Als Hauptproblem hat Feifel bereits damals die Missverständnisse und Unklarheiten bei Begriffen und Maßstäben gesehen. Diese werden einfach übernommen, ohne auf den genauen Sachverhalt in der zugrunde liegenden Arbeit einzugehen. Eine ausreichende Erklärung zu der Bedeutung eines Begriffes fehlt oft.

Klassische Kreditvermittlungstheorie
Die Theorie der Bank als Kreditvermittler geht davon aus, das Banken Geld empfangen und es wieder ausleihen. Diese Sichtweise ist auch heute noch weit verbreitet, wird von einigen Buchautoren, wie Helmut Creutz vehement vertreten und wird auch allgemein in der Bevölkerung so gesehen. Die Deutsche Bundesbank spricht in ihrer Schrift "Geld und Geldpolitik" fachsprachlich von Finanzintermediären, zu deutsch Finanzvermittlern.
Zitat
Finanzintermediäre
Finanzintermediäre sind Institutionen, die auf den Geld-, Kredit- und Kapitalmärkten tätig sind. Sie vermitteln zwischen Kapitalanbietern und Kapitalnachfragern, indem sie Geldkapital von Anlegern entgegennehmen und es an die Kapitalnachfrager weiterleiten bzw. den Handel zwischen Anbietern und Nachfragern erleichtern. Die wichtigsten Finanzintermediäre sind Banken, Versicherungen und Investmentfonds.

Mit diesen Aussagen wird der Eindruck vermittelt, dass zuerst Geld eingesammelt werden muss, bevor es dann von den Finanzvermittlern an andere ausgeliehen werden kann. Aus dieser Betrachtung hat auch Hübner 1854 die nach ihm benannte "goldene Bankregel" entwickelt. Diese besagt vereinfacht ausgedrückt, dass von Kunden eingesammeltes Spargeld nur in der Höhe der Einzahlung und auch nur solange ausgeliehen werden kann, wie der Sparkunde auf sein Geld verzichtet. Ein Sparkunde legt in einem Sparbrief 10.000 € für einen Zeitraum von zwei Jahren bei der Bank an. Die Bank darf nach der "goldenen Bankregel" nun auch nur 10.000 € an Darlehensnehmer ausleihen und dies auch nur für maximal 2 Jahre.

Zu dieser logisch klingenden Erklärung sagt Peter Betge in seinem Buch Bankbetriebslehre von 1996
Zitat
Praktisch ist diese Dispositionsregel in ihrer strengen Form niemals verwirklicht worden, was dem Verzicht auf Betrags- und Fristentransformation gleichkommen würde. Dennoch hat die Dispositionsregel in modifizierter Form als Denken in Kapitalüberlassungs- und Kapitalverwendungsfristen sowohl in der Finanztheorie als auch in der Finanzierungspraxis von Banken und Nichtbanken bis heute nachgewirkt.


Wie die Aussagen der Bundesbank in der Schrift "Geld und Geldpolitik - Schülerbuch für die Sekundarstufe II" belegen, wird auch heute noch in diesen Kategorien gedacht. Jemand hat Geld übrig und ein anderer benötigt Geld. Zwischen diesen beiden wird dann die Bank als Vermittler tätig.

Moderne Kreditschöpfungslehre
Feifel:
Zitat
Die Lehre von der Kreditschöpfung ist im Sinne ihrer Begründer (John Law, Alexander Hamilton, Jean Pierre Proudhon sowie Henry Dunning Macleod die Theorie von der Fähigkeit auch der "privaten" Banken, Geld bzw. Kredit zu schöpfen.

Die moderne Kreditschöpfungslehre ist also keine Erfindung des 20/21. Jahrhunderts, sonder kann bis zum Ende des 17. Jahrhunderts zurückverfolgt werden.

Fortsetzung folgt.

Beste Grüße
Rudi
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Der Artikel „Simulation eines triebgesteuerten Agenten“ ist in ‚General Science Journal’ erschienen.

http://gsjournal.net/Science-Journals/Research%20Papers/View/4875

Der Autor freut sich auf Kommentare und Rezensionen!

Halil Güvenis


Abstract

In der vorliegenden Arbeit wird Schritt für Schritt das Simulationsprogramm für einen triebgesteuerten Agenten entwickelt. Wir stellen zunächst ein 3-Ebenen- Modell vor, auf dem unser Simulationsprogramm basiert. Als Nächstes simulieren wir den stereotypen Agenten, der einem zweidimensionalen Braitenberg-Vehikel entspricht. Anschließend lassen wir die Triebe durch Schmerz-Signale entstehen und in einem “Winner-take-all”-Netzwerk in Konkurrenz zueinander treten. Je nachdem, ob Lustgewinnungs- oder Schmerzvermeidungstriebe die Oberhand gewinnen, unterteilen wir die auszuführenden Prozeduren in appetitive bzw. aversive Verhaltenssequenzen, die durch Lust- und Schmerz-Signale indiziert werden. Die Simulationsergebnisse diskutieren wir anhand der Bahnkurve des Agenten.
 
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Wirtschaft / Re: Zur Lösung der Weltwirtschafts- und Klimakrise
« Letzter Beitrag von Mumken am 23. Mai 2013, 10:33:04 »
Hallo Halil,

beim Thema "Belegschaftseigentum", einem Beitrag über ein konkretes, gelebtes Beispiel aus Spanien, erscheint es mir bemerkenswert, dass dieser Betrieb mit seiner sozialen Ausrichtung in unserem Wirtschaftssystem überstehen kann. Gewerkschaftseigenen Betrieben in Deutschland wird immer nachgesagt, dass sie ihre Betriebe genauso rigorose führen wie die von ihnen bekämpften Industriebetriebe. Eine besondere soziale Verpflichtung für die Mitarbeiter in ihren Betrieben sei nicht erkennbar. Als Begründung für dieses Verhalten wird dann der Wettbewerbsdruck angeführt.

Eine interessante Seite zur Vermögensverteilung mit Erhard Glötzl (* 21. März 1948 in Wels, ein österreichischer Mathematiker, Chemiker und Ökonom sowie ehemaliger Vorstandsdirektor der Linz AG i.R.)

http://de.wikipedia.org/wiki/Erhard_Gl%C3%B6tzl

Auch er reduziert im Endefekt die derzeitigen Finanzprobleme auf eine ungleiche Vermögensverteilung, welche es zu beseitigen gilt.

http://pi.gerhardmarold.com/?s=gl%C3%B6tzl&searchsubmit=

Zitat
6. Werden bestehende Güter umverteilt, entsteht der Gewinn des einen immer nur durch den gleichzeitigen Verlust eines anderen. Die Urformen dieser Umverteilungsgewinne sind: Raub und Diebstahl. Wegen ihrer verheerenden Auswirkungen auf die gesellschaftliche Stabilität sind die Urformen der Umverteilungsgewinne gesellschaftlich geächtet und gesetzlich verboten.

7. Die modernen Mechanismen der Umverteilungsgewinne sind noch nicht in diesem Sinn als Umverteilungsgewinne erkannt und daher noch nicht gesellschaftlich geächtet.


Dieser Erkenntnis kann ich nur zustimmen.

Viele Grüße aus der Eifel
Rudi
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Wirtschaft / Re: Zur Lösung der Weltwirtschafts- und Klimakrise
« Letzter Beitrag von Halil am 16. Mai 2013, 11:24:39 »
Hallo Mumken,

vielen Dank für die Einsendung des Informationsmaterials zum „Belegschaftseigentum” – zum „Wunder von Mondragón?”. Wenn man die Absicht hat, Belegschaftsunternehmen zu gründen, dann bietet dieses konkrete, gelebte Beispiel aus Spanien sehr viele Aspekte, die im Einzelnen studiert werden müssen.

In meinem Konzept werden die Belegschaftsunternehmen erst nach dem globalen Staatsbankrott und der darauf folgenden Umschuldung der Nationalstaaten gegründet. Zu dieser Zeit werden die Gewinne und das Profitstreben weitgehend am Boden liegen. Dann wird die Belegschaft des „Mondragon Brasilien“ keine Argumente mehr haben, ihren Betrieb nicht in eine Genossenschaft überzuführen.

Die Sache wird aber erst dann interessant, wenn die Belegschaft der Unternehmen von der Größe „Daimler“ oder „Siemens“ ihren Vorteil – Arbeitsplatzerhalt – in der Gründung eines Belegschaftsunternehmens sehen. – Eine neue Epoche wird dann anbrechen und in noch vielen anderen Bereichen als Vorbild dienen. Ich kann mir schon vorstellen, dass zum Beispiel die Belegschaft „Volk“ gewillt sein wird, das Unternehmen „Staat“ genau nach den Prinzipien zu leiten wie bei Belegschaftsunternehmen. Der Vorbild-Funktion wären keine Grenzen gesetzt!!!

Viele Grüße aus Istanbul

Halil

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Wirtschaft / Corporación Cooperativa Mondragón
« Letzter Beitrag von Mumken am 15. Mai 2013, 20:01:01 »
Hallo Halil,

vielen Dank für Deine ausführliche Stellungnahme zum Interwiev mit Sahra Wagenknecht.

Auszug:
...............
 Zu diesen existenzielle Bereichen zähle ich neben der Grundversorgung (Wasser, Energie, Mobilität, Kommunikation, Bildung, Gesundheit, Mietwohnungen und kommunale Dienste) vor allem auch Banken und Versicherungen. Das sind die „etwa 100 bis 200 Unternehmen“. Die müssen verfassungsrechtlich so gestellt werden, dass Reprivatisierungen ein für alle Mal ausgeschlossen sind. Das meine ich mit „außer Eigentum setzen“. Für die ganz überwiegende Anzahl der Großunternehmen von Automobilkonzernen über Chemieunternehmen bis zu Handelsriesen ist das nicht notwendig; die könnten und sollten in Belegschaftseigentum überführt werden.

Das Blättchen: Also Anteilsaktien?

Nein – die nun gerade nicht. Die dienen ja auch heute letztlich nur dazu, in den Beschäftigten eine klein-kapitalistische Eigentümerlogik zu verankern, die sie daran hindern soll zu erkennen, wie das System tatsächlich funktioniert.

Ich stelle mir vielmehr eine Art Stiftungsmodell vor, in dem die Belegschaft die strategische Entscheidungsbefugnis hat. In solch einem Modell darf kein Gewinn an Dritte ausgeschüttet werden. Bei gutem Geschäftsergebnis steigen Löhne und Gehälter, und es kann investiert werden. Das wären dann aber auch die einzigen treibenden Motive für ein (kollektives) Gewinnstreben. Damit würden zugleich Ausbeutung und die Entstehung wirtschaftlicher Macht, die zu politischer Macht führt, ausgeschlossen.

Kommentar: Wagenknecht schlägt also vor, die überwiegende Anzahl der Großunternehmen in Belegschaftseigentum überzuführen. Sie irrt sich jedoch, wenn sie sagt, dass dadurch die Belegschaft nicht zu Anteilseignern, zu Eigentümern, ihres eigenen Betriebes wird. Wenn die Belegschaft die Betriebsstrategie bestimmen will, dann gibt es dafür im Sinne des Grundgesetzes keine andere Möglichkeit, als dass die Belegschaft zu Eigentümern ihres eigenen Betriebes wird. – Die unmittelbaren Produzenten müssen also ihren eigenen Arbeitsplatz aufkaufen, um sich eine Arbeitsstelle zu garantieren. Das ist der historische Sinn dieser Maßnahme!
....................

Gestern, 14. Mai 2013 hörte ich zum Thema "Belegschaftseigentum" einen Beitrag im Deutschlandfunk über ein konkretes, gelebtes Beispiel aus Spanien.

http://www.dradio.de/dlf/sendungen/dasfeature/2070704/

Die Sendung kann durch Anklicken der Überschrift noch nachgehört werden. Auch steht rechts der Text als Download zur Verfügung, wie auch weiter unten die Sendung als MP3 zum herunterladen. Die MP3-Datei habe ich vorsichtshalber mal auf meinem PC gespeichert, so dass ich diese bei Bedarf auch wieder zur Verfügung stellen kann.

-Auszug zur Untersuchung, ob auch in Brasilien solche Genossenschaften gegründet werden können:
"Erstens, wenn wir eine Genossenschaft gründen, dann fordern wir die Leute auf, sich mit Geld an der Firma zu beteiligen. Aber die Wissenschaftler stellten fest, dass die kein Interesse daran haben. In Bezug auf ihre Miete leben viele Brasilianer kurzfristig. Sie investieren nicht und sind auch nicht auf langfristiges Sparen eingestellt. Sie sagten, dass es sehr viel rentabler sei, das Geld auf die Bank zu bringen. Die Zinsen auf der Bank seien viel höher, als was wir an Profit mit unserer Firma erarbeiten können. Der Profit in unseren Firmen im Automobilsektor ist sehr niedrig und die Zinsen sind recht hoch und sogar sicherer. Die Bank gibt normalerweise einen festen Zinssatz. In der Firma hängt alles davon ab, wie das Jahr läuft."
Offensichtlich muss ein Wertewandel in der Bevölkerung stattfinden, um auch die Vorteile eines genossenschaftlich geführten Betriebes zu erkennen. Zur Zeit zählen nur die Zinsen. Eine Aufklärung ist nicht zu erkennen und vom jetzigen System auch nicht gewünscht. Es würde zu viel Systemrelevantes in Frage gestellt.

Beste Grüße aus der Eifel von
Rudi


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Wirtschaft / Re: Zur Lösung der Weltwirtschafts- und Klimakrise
« Letzter Beitrag von Halil am 08. April 2013, 11:12:56 »
Hallo HannsGschaft,
Hallo Mumken,

ich habe das von der Zeitschrift „Das Blättchen“ am 18. März 2013 veröffentlichte Interview mit Sahra Wagenknecht „Marktwirtschaft ohne Kapitalismus und Sozialismus ohne Planwirtschaft“ gelesen ( http://das-blaettchen.de/2013/03/marktwirtschaft-ohne-kapitalismus-und-sozialismus-ohne-planwirtschaftim-gespraech-mit-sahra-wagenknecht-23147.html ) und halte es für einen äußerst wichtigen und wegweisenden Beitrag zur Lösung der Weltwirtschaftskrise.

Ich möchte im Folgenden durch einige Zitate aus diesem Interview das Wesentliche an Sahra Wagenknechts Thesen zusammenfassend darstellen und wenn nötig, kommentieren:

1. Das Blättchen: Und Sie legen sich prognostisch fest: Entweder läuft alles so weiter wie bisher bis zum finalen Crash, den Sie eher früher als später erwarten, oder der Wechsel zu einem anderen „Geschäftsmodell“ wird bewusst herbeigeführt. Ihre Alternative nennen Sie, wir erwähnten es schon, „kreativen Sozialismus“. Was soll das sein? Vor allem auch im Unterschied zu bisher bereits gewesenen oder noch existierenden Sozialismen?

Wagenknecht: Kreativer Sozialismus ist Marktwirtschaft, aber in einem sehr viel sozialeren Sinne, als es der gerühmte rheinische Kapitalismus je war, weil er sich in der elementarsten Frage, nämlich der nach dem Eigentum, nach der Verfügbarkeit über die wirtschaftlichen Ressourcen grundlegend vom Kapitalismus unterscheidet. In meinem Buch („Freiheit statt Kapitalismus“ Anmerkung von H. G.) habe ich dabei im Übrigen recht ausführlich hergeleitet, dass es „Marktwirtschaft ohne Kapitalismus“ und „Sozialismus ohne Planwirtschaft“ tatsächlich geben kann.

2. Das Blättchen: Das macht die nächste Frage umso elementarer und spannender: Welchen Weg haben Sie für die Einführung Ihres kreativen Sozialismus im Auge?

Wagenknecht: Das ist natürlich von Land zu Land unterschiedlich. Für Europa kann ich mir vorstellen, dass grundlegende gesellschaftliche Veränderungen mit einer breiten außerparlamentarischen Opposition, mit einer starken Streikbewegung und entsprechenden Wahlergebnissen durchsetzbar sind. Wahlergebnisse müssen natürlich durch gesellschaftliche Bewegungen abgestützt sein, damit veränderungsbereite Regierungen überhaupt eine Chance für die Umsetzung tiefgreifender Umgestaltungen der Eigentumsverhältnisse haben und nicht über kurz oder lang vertrieben werden. Ich denke dabei zum Beispiel an Gewerkschaften, die willens sind, notfalls auch den Generalstreik ausrufen, wenn gegen eine gewählte Regierung zu undemokratischen Mitteln gegriffen wird. Und was die Chancen anbetrifft: Bei den letztjährigen Parlamentswahlen in Griechenland hat die Linke die Mehrheit nur knapp verfehlt.

Kommentar: Wagenknechts Vorstellungen für den Übergang zum kreativen Sozialismus sind unzureichend. Der kreative Sozialismus ist eine derart radikale Forderung, dass sie sich kaum durch einen Generalstreik in „Friedenszeiten“ durchsetzen lässt. Etwas ganz anderes wäre aber, diese Forderung nach dem finalen Crash (= dem globalen Staatsbankrott) zu stellen. In so einer einmaligen, geschichtlichen Situation würden die Weltvölker ohne weiteres bereit sein, radikale Lösungen zu akzeptieren.

3. Das Blättchen: Eine recht brachiale Medizin schlagen Sie nicht zuletzt für die durch die Finanzkrise und aberwitzige Bankenrettungsaktionen exorbitant angestiegenen Staatsschulden vieler westlicher Industrieländer vor, in deren Folge Griechenland – maßgeblich auf Betreiben unserer Bundeskanzlerin – bereits zu dauerhaftem wirtschaftlichen und sozialen Siechtum verurteilt wurde: Schuldenschnitt zu 100 Prozent, mindestens für alle durch staatliche Bankenrettungsaktivitäten angehäuften Verbindlichkeiten. Sollten wir für den Fall, Sie setzten sich durch, schnell noch unsere Spar-Euros von der Volksbank holen? Denn so ein Schuldenschnitt müsste ja Banken wie Dominosteine zusammenkrachen lassen.

Wagenknecht: Volksbanken und Sparkassen haben an der Casino-Zockerei der Privatbanken ja praktisch nicht teilgenommen, mussten also auch nicht infolge Verzockerei gerettet werden und trugen nicht nur nicht zum Anstieg der Staatsschulden bei, sondern hatten wesentlichen Anteil daran, die Finanzkrise nicht voll auf Deutschland durchschlagen zu lassen. Ein Schuldenschnitt würde in deren Bilanzen nicht unmittelbar eingreifen. Wie gut, wenn ich das anmerken darf, dass sich die private Finanzindustrie mit ihrer langjährigen Forderung, das dreigliedrige deutsche Bankensystem zugunsten der Privatbanken abzuschaffen, bis zum Ausbruch der gegenwärtigen Krise nur teilweise durchsetzen konnte.

Was allerdings die Privatbanken anbetrifft, da brauchen wir eine grundsätzliche Neuordnung des Systems. Dabei muss der Staat für die Aufgaben einstehen, die für die Volkswirtschaft wichtig sind: Die elementaren Bankfunktionen, das Einlage- und Kreditgeschäft und die Abwicklung des Zahlungsverkehrs, müssen öffentlich kontrolliert und abgesichert werden. Und bei dem von mir vorgeschlagenen Schuldenschnitt, das habe ich mehrfach ganz klar gesagt, soll kein Kleinsparer um seine Einlagen bei Privatbanken fürchten müssen. Diese Einlagen wären bis zu einer Höhe von sagen wir 500.000 Euro, die die allermeisten Kleinsparer vollständig vor Verlusten schützen würde, staatlich zu garantieren.

Kommentar: Der Freibetrag von 500.000 Euro ist eine gerechte Maßnahme, um die Kleinsparer zu schützen. Auch bei meiner Lösung der Staatsschuldenfrage wird eine einmalige Vermögenssteuer mit einem Freibetrag von 500.000 Euro gefordert (Halil Güvenis, Lösung der Klimakrise im Rahmen der Zusammenbruchskrise des Kapitalismus. Aachen: Shaker, 2011).

4. Das Blättchen: Mit Ihrem Vorschlag zur Schaffung von Gemeineigentum stehen Sie einerseits auf dem Boden des Grundgesetzes. Andererseits wollen Sie entschädigungslos enteignen. Wir sind da im Übrigen völlig d’accord mit Ihnen, den in den Zeiten des Neoliberalismus und insbesondere des Finanzmarktbooms exponentiell gewachsenen Vermögen der Zocker sowie der Reichen und Superreichen, der Banken, Hedge Fonds, Versicherungen und Großkonzerne, die praktisch als einzige von den Entwicklungen profitiert haben, die zur jetzigen Systemkrise geführt haben, nicht noch weitere Milliarden an Steuergeldern hinterherzuwerfen. Artikel 15 im Grundgesetz lautet allerdings: „Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt (Hervorhebung – Das Blättchen), in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden.“ Und Artikel 14, Absatz drei ergänzt: „Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.“ Wie wollen Sie mit diesen Verfassungspostulaten umgehen?

Wagenknecht: Natürlich will ich Kleinanleger nicht enteignen. Wenn etwa Telekommunikation als wichtiger Teil der Grundversorgung außer Eigentum gestellt, also vergesellschaftet würde, dann soll diese Anteilseigner-Gruppe angemessen entschädigt werden.

Vergesellschaftungsfragen sind im Übrigen gesellschaftliche Machtfragen, und in dieser Hinsicht stehen die Verhältnisse bei uns derzeit auf eine höchst undemokratische Weise auf dem Kopf: Das System begünstigt völlig einseitig eine verschwindende Minderheit, und die Mehrheit zahlt dafür, dass diese Minderheit, die Reichen, vor Vermögensverlusten geschützt werden. Großinvestoren haben ihre Vermögen nicht erarbeitet, sondern ererbt oder zusammenspekuliert. Soweit diese Vermögen im Vorfeld sowie in der Finanzkrise weiter gewachsen sind, bestehen sie heute praktisch zu einem erheblichen Teil aus Geldern der staatlichen Bankenrettung, also aus Steuergeldern. Ich würde im Hinblick auf diese Schicht daher auch gar nicht von Enteignung sprechen, wenn die Gesellschaft sich das zurückholt, was ihr eigentlich gehört. Und was den verfassungsrechtlichen Aspekt anbetrifft, so gibt es durchaus ein historisches Vorbild in der Bundesrepublik. Das war die 1948 beschlossene sogenannte Lastenausgleichsabgabe, die Vermögende – zumindest auf dem Papier – zur Aufgabe von 50 Prozent ihres Vermögens verpflichtete und bei der im Nachhinein auch niemand auf die Idee kam, sie als grundgesetzwidrig einzustufen.

Ein nicht unmaßgeblicher Prozentsatz der Probleme würde sich aber nicht zuletzt im Selbstlauf erledigen, sobald der oben skizzierte Schuldenschnitt vollzogen wäre und jegliche staatliche Bankenrettung für alles, was nicht zu den angesprochenen volkswirtschaftlich notwendigen Funktionsbereichen von Finanzinstituten zählt, eingestellt würde. Dann wären die diesbezüglichen Verbindlichkeiten der Staaten und Forderungen der privaten Banken und anderer Großgläubiger in gleicher Höhe aus der Welt. Sicher würde das die Reichen ziemlich viel Geld kosten, aber ein rechtliches Problem sehe ich darin nicht – und ein moralisches schon gar nicht. Der moralische Makel liegt systembedingt grundsätzlich auf der Seite der Reichen: Das Betriebsvermögen von BMW geht doch nicht auf die Quandts oder Frau Klatten zurück sondern auf die Arbeit der Beschäftigten. Und in deren Hand gehört es auch.

Kommentar: Wagenknecht erkennt hier ganz korrekt, dass in den letzten Jahrzehnten die Vermögen der Reichen um ungefähr dieselbe Summe gestiegen sind, wie auf der anderen Seite die Staatschulden. Das hat zur Folge, dass die Reichen genau um diese Summe enteignet werden müssen, damit diese Staatshandlung auf der Grundlage der Grundgesetzartikel 14 und 15 steht. Was aber Wagenknecht nicht berücksichtigt, ist, dass es zu einer beispiellosen Kapitalflucht und zu einem Chaos führen würde, wenn ein einzelnes Land auf der Erde die Enteignung durchführen würde. Also müssen alle Weltvölker gemeinsam auf der Grundlage einer Weltverfassung die Enteignung durchführen. Diese Forderung wird aber von Wagenknecht gar nicht erhoben.

5. Das Blättchen: In Ihrem Buch machen Sie deutlich: Ihnen geht es zuvorderst um die Vergesellschaftung gemeinwohlrelevanter Geschäftstätigkeiten sowie von wirtschaftlichen Einheiten, die von ihrer schieren Größe her machtrelevant sind. Welche Messlatte wollen Sie dabei anlegen, um, wie Sie es nennen, „eigentumsunfähige“ Unternehmen zu ermitteln?

Wagenknecht: Es bieten sich vor allem drei Kriterien an, um gemeinwohlrelevante von privater Geschäftstätigkeit zu unterscheiden:

– die monopolistische oder zumindest marktdominierende Stellung eines Unternehmens,
– seine Bedeutung für Beschäftigung und Investitionen in einer wichtigen Branche der Volkswirtschaft und
– die Erbringung einer öffentlichen Dienstleistung.

Ich bin dafür, existenzielle Bereiche der Wirtschaft, die für die Gesamtgesellschaft relevant sind beziehungsweise das Leben der übergroßen Mehrheit der Bevölkerung ganz unmittelbar betreffen, „außer Eigentum“ zu setzen, also nicht einfach zu verstaatlichen beziehungsweise in öffentlich-rechtliches Eigentum zu überführen. Das haben wir heute auch schon, ohne dass Reprivatisierungen nicht immer wieder – zuletzt in der Orgie des Neoliberalismus seit den 90er Jahren – vorgekommen wären. Zu diesen existenzielle Bereichen zähle ich neben der Grundversorgung (Wasser, Energie, Mobilität, Kommunikation, Bildung, Gesundheit, Mietwohnungen und kommunale Dienste) vor allem auch Banken und Versicherungen. Das sind die „etwa 100 bis 200 Unternehmen“. Die müssen verfassungsrechtlich so gestellt werden, dass Reprivatisierungen ein für alle Mal ausgeschlossen sind. Das meine ich mit „außer Eigentum setzen“. Für die ganz überwiegende Anzahl der Großunternehmen von Automobilkonzernen über Chemieunternehmen bis zu Handelsriesen ist das nicht notwendig; die könnten und sollten in Belegschaftseigentum überführt werden.

Das Blättchen: Also Anteilsaktien?

Nein – die nun gerade nicht. Die dienen ja auch heute letztlich nur dazu, in den Beschäftigten eine klein-kapitalistische Eigentümerlogik zu verankern, die sie daran hindern soll zu erkennen, wie das System tatsächlich funktioniert.

Ich stelle mir vielmehr eine Art Stiftungsmodell vor, in dem die Belegschaft die strategische Entscheidungsbefugnis hat. In solch einem Modell darf kein Gewinn an Dritte ausgeschüttet werden. Bei gutem Geschäftsergebnis steigen Löhne und Gehälter, und es kann investiert werden. Das wären dann aber auch die einzigen treibenden Motive für ein (kollektives) Gewinnstreben. Damit würden zugleich Ausbeutung und die Entstehung wirtschaftlicher Macht, die zu politischer Macht führt, ausgeschlossen.

Kommentar: Wagenknecht schlägt also vor, die überwiegende Anzahl der Großunternehmen in Belegschaftseigentum überzuführen. Sie irrt sich jedoch, wenn sie sagt, dass dadurch die Belegschaft nicht zu Anteilseignern, zu Eigentümern, ihres eigenen Betriebes wird. Wenn die Belegschaft die Betriebsstrategie bestimmen will, dann gibt es dafür im Sinne des Grundgesetzes keine andere Möglichkeit, als dass die Belegschaft zu Eigentümern ihres eigenen Betriebes wird. – Die unmittelbaren Produzenten müssen also ihren eigenen Arbeitsplatz aufkaufen, um sich eine Arbeitsstelle zu garantieren. Das ist der historische Sinn dieser Maßnahme!

6. Das Blättchen: Mit den von Ihnen genannten Kriterien wären allerdings im Wesentlichen nur die Großkonzerne und Multis erfasst. Die machen gerade einmal 0,2 Prozent aller deutschen Unternehmen aus. Was haben Sie mit den übrigen 99,8 Prozent vor?

Wagenknecht: Die bleiben in der Hand Ihrer derzeitigen Eigentümer, wobei eine fünfprozentige Vermögenssteuer erhoben werden soll. Die müsste nicht bar entrichtet werden, sondern könnte als Belegschaftseigentum akkumuliert werden.

Nun sind die 99,8 Prozent allerdings auch nicht durchgängig Kleinunternehmen, und da ich es für grundsätzlich verkehrt halte, Unternehmen ab einer bestimmten Größe zu vererben, weil damit unter anderem Arbeitsplätze und soziale Existenzen immer wieder zum Spielball privater Erbstreitigkeiten werden, schlage ich vor, solche Erbschaften auf einen finanziellen Rahmen von einer Million Euro zu beschränken. Was darüber hinausgeht, fällt als Geldvermögen an den Staat und als Betriebsvermögen wiederum an die Belegschaft.

Kommentar: Da alle Enteignungen und Entschädigungen nur auf der Grundlage der Grundgesetz-Artikeln 14 und 15 durchgeführt werden können, ist hier nicht klar, auf welcher Rechtsgrundlage Wagenknecht die von ihr angegebenen Maßnahmen durchführt. – Das Rechtsstaatsprinzip muss bei jeder Handlung des Staates aufrechterhalten werden!

Viele Grüße aus Istanbul

Halil Güvenis
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Wirtschaft / Sahra Wagenknecht
« Letzter Beitrag von Mumken am 03. April 2013, 12:01:17 »
Von HannsGschaft der Hinweis auf ein interessantes Interview mit Sahra Wagenknecht.

 http://das-blaettchen.de/2013/03/marktwirtschaft-ohne-kapitalismus-und-sozialismus-ohne-planwirtschaftim-gespraech-mit-sahra-wagenknecht-23147.html

Nur ein "bisschen kapitalistisch", abgeleitet von "ein bisschen schwanger sein", geht das? Bleibt die Motivation der Menschen zur Leistung da nicht auf der Strecke oder reicht der geminderte Reichtum der Gesellschaft auch noch aus?

Mir fällt da Keynes mit seiner Schrift  Wirtschaftliche Möglichkeiten für unsere Enkelkinder ein. Ja, er hat neben seiner Nachfragetheorie auch noch weitertragenden Vorstellungen über unsere Gesellschaft gehabt, wenn diese auch kaum bekannt sein dürften.

Beste Grüße

Rudi
58
Gesellschaft / Störsender TV
« Letzter Beitrag von Mumken am 30. März 2013, 07:49:34 »
Ein neuer Sender mit Dieter Hildebrandt, HG.Butzko, Ecco Meineke, Konstantin Wecker Helge Peukert und Sigi Zimmerschied. Wenn ich es richtig verstanden habe, sollen die Sendungen in einem 14-tägigen Rhythmus erscheinen.

Die von mir angegebenen Links waren offensichtlich nur kurze Zeit gültig.

[s][url=http://www.youtube.com/watch?v=d0lL1uIsC9U#ws]Störsendung Finanz-Casino-Kapitalismus Teil 1[/url] 
[url=http://www.youtube.com/watch?v=O83tDExM_Tk#ws]Störsendung Finanz-Casino-Kapitalismus Teil 2[/url]
[url=http://www.youtube.com/watch?v=DPTwSaYB8JQ#ws]Störsendung Finanz-Casino-Kapitalismus Teil 3[/url]
[url=http://www.youtube.com/watch?v=4eYARuQXEMU#ws]Störsendung Finanz-Casino-Kapitalismus Teil 4[/url][/s]


Eine Zusammenfassung jetzt unter


stoersender.tv, Episode1: Finanzkasinokapitalismus Small | Large



@Halil
Für Dich vielleicht besonders interessant Teil 2 ab .
Den Teil von Helge Peukert mit den Aussagen zur Vermögensbesteuerung- enteignung habe ich nicht mehr entdeckt.
Steter Tropfen höhlt den Stein.

Beste Grüße

Rudi
59
Geldsystem / Die Einlagen sind sicher!
« Letzter Beitrag von Mumken am 20. März 2013, 18:27:30 »
 Die Berichterstattung hat bei den Menschen den falschen Eindruck erweckt, als seien damit die Einlagen auch in anderen Ländern nicht mehr sicher. Die sind sicher, aber immer unter der Voraussetzung, dass die Länder zahlungsfähig bleiben. In Deutschland muss sich diese Sorge wirklich niemand machen.

Originalton Wolfgang Schäuble am 19.3.2013 im DLF zum Zypernproblem.

http://europa.deutschlandfunk.de/2013/03/19/die-verteilung-ist-eine-sache-zyperns/

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Geldsystem / Alternative Geldkonzepte – ein Literaturbericht
« Letzter Beitrag von Mumken am 15. März 2013, 16:52:17 »
Vom
Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, Köln
wurde im Februar ein Diskussionspapier mit dem Namen "Alternative Geldkonzepte – ein Literaturbericht"
herausgegeben.
Über Gesell, Creutz, Fischer und Huber scheint so ziemlich viel vertreten zu sein. Habe erst angefangen es zu lesen. Erstaunlich, dass man sich überhaupt mit solchen alternativen Ideen auseinandersetzt.

Alternative Geldkonzepte

Ich lasse mich auch überraschen, was andere dazu meinen.

Beste Grüße,

Rudi
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