Das Geldrätsel: Vermittler oder Schöpfer

Aus um-bruch
Zur Navigation springenZur Suche springen


Kredite ohne Sparen

„Um Kredite zu vergeben, benötigt eine Geschäftsbank keine Sparer.“ So oder ähnlich lauten die Schlussfolgerungen derjenigen, die davon ausgehen, dass Geschäftsbanken Geld aus dem Nichts schöpfen können. Aus dem „Nichts schöpfen“ heißt dabei, ohne Deckung durch gesetzliche Zahlungsmittel oder Sparguthaben. Dass auch eine Deckung durch das Rückzahlungsversprechen der Kreditnehmer existiert wird vielfach nicht gesehen.

Dieser Sichtweise steht die Bank als Finanzvermittler gegenüber, dass heißt, nur gespartes Geld wird weiter verliehen. Um die Bedeutung des Sparens im Bankensystem richtig zu erfassen, sind einige theoretische Grundlagenkenntnisse erforderlich.

Ein-Bank-System

Starten wir mit dem Modell von nur einer Bank in einem Land. In diesem Modell existiert kein Bargeld und auch keine Zentralbank. Beziehungen zu anderen Ländern bestehen ebenfalls nicht. Die Möglichkeit Buchgeld zu schöpfen ist bei dieser Bank unbegrenzt. Dieses Modell ist als „Wicksellsche Idealbank“ in der einschlägigen Literatur bekannt. Die Währungseinheit nennen wir entsprechend "Idealbank-Dollar" (IB-$).

Zwei-Banken-System

Die Idealbank, als einzige Bank im Land, wird aufgeteilt in eine Nordbank und eine Südbank. Beide verwenden weiterhin den "IB-$" als Währungseinheit. Wie verhält es sich aber mit der Fähigkeit der beiden Banken Buchgeld zu schöpfen? Diese Fähigkeit hängt vom Vertrauensverhältnis der Banken zueinander ab.

Grenzenloses Vertrauen

Die beiden Banken stehen nicht im Wettbewerb, geben sich gegenseitig Kredit in unbeschränkter Höhe und verhalten sich somit gegenüber ihren Kunden wie eine einzige Bank. Sie können Kredite und damit Buchgeld in unbegrenzter Höhe erschaffen.

Ohne jegliches Vertrauen

Beide Banken stehen im Wettbewerb und sind nicht bereit, sich gegenseitig Kredit einzuräumen. Jede Bank kann zwar unbegrenzt eigenes Buchgeld schaffen, jedoch keine Überweisungen zur anderen Bank tätigen. Ihr Buchgeld besitzt nur innerhalb der eigenen Bankkundschaft einen Wert. Es kann den Einflussbereich der Bank nicht verlassen.

Begrenztes Vertrauen

Erst mit Hilfe von gegenseitigen Krediten kann ein Überweisungsverkehr aufgenommen werden. Die Kredite können besichert oder unbesichert sein. Da beide Banken sich im Wettbewerb befinden, werden sie sich jedoch nicht Kredite in unbegrenzter Höhe gewähren.

Dazu folgendes Beispiel: Die Südbank gewährt Anton einen Kredit in Höhe von 1 Million IB-$. Will Anton davon 700.000 IB-$ an Benno, der Kunde bei der Nordbank ist, überweisen, muss die Südbank zuvor einen Kredit in dieser Höhe bei der Nordbank aufnehmen. Erst dann ist die Nordbank bereit, Benno den Betrag von 700.000 IB-$ gutzuschreiben.[1]

Gehen Überweisungen immer nur in Richtung Nordbank, gehört die Südbank irgendwann der Nordbank, da diese entsprechend viele Schulden der Südbank gesammelt hat. Die Südbank wird folglich ein Interesse daran haben, ihre Schulden gegenüber der Nordbank nicht zu groß werden zu lassen. Eine größere Streuung der aufgenommenen Kredite ist deshalb von Vorteil. Bei wem kann sie jedoch, außer bei der Nordbank, Kredite aufnehmen? Bei ihren eigenen Kunden. Ein Kredit bei Bankkunden bedeutet, dass diese für einen vereinbarten Zeitraum auf die Inanspruchnahme ihrer Sichtguthaben verzichten, sie sparen. Das gesamte Sparvolumen der Südbank kann somit den Bereich der Südbank für die Spardauer nicht verlassen. Auch wenn dieser Sparvorgang nicht gleich als solcher wahrgenommen wird, ist er doch mit dem Einzahlen von Bargeld auf ein Sparbuch vergleichbar. Für die Spardauer wird auf die Nutzung des "Geldes" verzichtet. Banktechnisch gesehen verzichtet der Kunde auf die Inanspruchnahme seiner Forderung an die Bank.

Welche Abhängigkeiten bestehen jetzt zwischen den Kreditaufnahmen der Bank bei einer anderen Bank bzw. bei eigenen Bankkunden und der Kreditvergabe an einen Bankkunden? In einem ersten Schritt offensichtlich keine.

Korrekt ist, dass für den Vorgang der Krediterzeugung weder Sparer noch sonstige "Einlagen" auf der Passivseite erforderlich sind. Die Bank schafft im Kreditvorgang die Sichteinlagen des Kunden, welche dieser für Zahlungszwecke benutzen kann.


Aber bereits im zweiten Schritt kann sich Wesentliches an dieser Aussage ändern. Wird das geschaffene Giroguthaben für Überweisungen innerhalb der eigenen Bank benutzt, bleibt es bei der Aussage, dass weder Sparer noch Einlagen zur Krediterzeugung erforderlich sind. Auch wenn die andere Bank im "Gleichschritt" ebenfalls Kredite vergibt und die Überweisungsbeträge sich in Summe ausgleichen, werden keine Sparer oder Einlagen benötigt. Erst wenn Unterschiede im Überweisungsvolumen entstehen, sind Kreditaufnahmen der kreditgebenden Bank erforderlich. Ein entstehender Unterschied kann auf direktem Wege durch entsprechende Kredite zwischen den Banken ausgeglichen werden.

Indirekt kann z. B. die Südbank auch durch lukrative Zinsen das Abwandern von Mitteln zur Nordbank unterbinden, wenn nicht sogar Sparer der Nordbank veranlassen, ihr Sparguthaben bei der Südbank anzulegen.[2] Eine größere Anzahl an Sparern bedeutet für eine Bank einen sicheren Stock an nicht abfließenden Mitteln, welche ihr gegebenenfalls auch erlauben, Kredite an andere Banken zu erteilen. Ohne diese Kreditaufnahme bei eigenen Kunden bewegt sich die Bank auf dünnem Eis. Der Einbruch des gegenseitigen Vertrauens unter Banken kann hier zu ernsthaften Krisen führen, wie die Finanzkrise nach 2008, besonders bei den Großbanken mit ihrem eingeschränkten Sparvolumen von Nichtbanken, gezeigt hat. Volksbanken und Sparkassen hatten unter anderem durch ihre relativ großen Beständen an Sparern hingegen keine großen Probleme bei der Bewältigung der Krise.

Ist-Zustand

Die

Konsolidierte Bilanz 06 2014.png

grundsätzliche Aufteilung der Passivseite geschieht bei jeder Bank nach Rentabilitäts- und Liquiditätsgesichtspunkten, zu sehr unterschiedlichen Anteilen. Einen ersten Anhaltspunkt bietet die Deutsche Bundesbank in ihren Monatsstatistiken, mit den zusammengefassten Daten aller Banken. Von der gesamten Passivseite betragen die

  • Sichteinlagen (= Giroguthaben der Kunden) 20 %
  • Termin- und Spareinlagen sowie Schuldverschreibungen 50 %
  • Einlagen von Banken (dazu zählen auch Einlagen der Zentralbank) 23 %
  • Eigenkapital und Rücklagen 7 %

Jede Kreditvergabe an einen Kunden erzeugt eine Sichteinlage (= Giroguthaben), d.h. eine täglich fällige Verbindlichkeit der Bank gegenüber ihrem Kunden. Da Kredite aber nicht aufgenommen werden um das entstandene Buchgeld dann festzulegen, sondern um Zahlungen zu tätigen, wird im Durchschnitt immer ein Teil dieses Buchgeldes zu anderen Banken fließen. Dem Abfluss von Zahlungsmitteln kann die Bank entgegenwirken, indem sie Kunden dazu bewegt, ihre Sichtguthaben längerfristig festzulegen. Die Verhinderung von abfließenden Mitteln verursacht der Bank jedoch Kosten durch die zu zahlenden Zinsen. Die Bankdevise: „So liquide wie nötig, so rentabel wie möglich“ verdeutlicht diese Problematik. Möglichst liquide zu sein verursacht Kosten durch zu zahlende Zinsen, entweder für Zentralbankgeld, Kredite bei anderen Banken, Bankschuldverschreibungen oder aber für Spar- und Terminguthaben von Kunden. Dies steht dem Ziel der Gewinnmaximierung, also möglichst rentabel zu arbeiten, entgegen.

In Deutschland bestehen heute ca. 2000 Banken, bei welchen sich wettbewerbsbedingt ein Mittelwert für Sichteinlagen in Höhe von 20 % der Bilanzsumme gebildet hat. Für diese Sichteinlagen entstehen der Bank keine Zinskosten. Diese Sichteinlagen sind ohne Sparanstrengungen entstanden und wurden nach der anfangs genannten Definition somit überwiegend aus dem "Nichts" geschöpft. Lediglich ein Anteil von 10 % davon muss an liquiden Zahlungsmitteln, im Rahmen der Liquiditätsverordnung, vorgehalten werden. Diese 10 % bedeuten, das für den Zahlungsverkehr der deutschen Banken, in Höhe von ca. 250 Billionen € pro Jahr, nur ein Giralgeldvolumen von 0,15 Billionen € (10% von 1,48 Billionen € Sichteinlagen gemäß der oben gezeigten Grafik), vorhanden sein muss. Zu den liquiden Zahlungsmitteln einer Bank, in der Liquiditätsverordnung auch „verfügbare Zahlungsmittel“ genannt, zählen, stark vereinfacht formuliert, das Zentralbankgeld sowie solche Aktiva, die sehr kurzfristig in Zentralbankgeld umgewandelt werden können. Das Zentralbankgeld besteht aus dem Kassenbestand sowie aus dem Sichtguthaben der Geschäftsbanken bei der Zentralbank. Ferner werden zu den verfügbaren Zahlungsmitteln die im Beobachtungszeitraum fälligen Aktiva gezählt. Hierzu zählen Forderungen an Zentralbanken, an andere Kreditinstitute sowie an Kunden der Bank. Details hierzu können dem Kreditwesengesetz entnommen werden. Erhöhen die Banken etwa im Gleichschritt ihre Kredite, so könnte das Bankensystem theoretisch ihre Kredite unbegrenzt ausdehnen. Nicht genügend kreditwürdige und kreditwillige Kunden zu finden, ist jedoch der entscheidende Bremsfaktor bei der Kreditgeldschöpfung durch die Geschäftsbanken.

Kreditvermittler

Wären die Geschäftsbanken als reine Kreditvermittler tätig, müssten sie vor jeder Kreditgewährung zuerst selbst Kredite von Kunden, anderen Banken oder der Zentralbank in Höhe der vorgesehenen Kreditgewährung mit vergleichbarer Laufzeit erhalten (im Schaubild alle gezeigten Positionen außer den Sichteinlagen).

Kreditschöpfer

Bei einer reinen "Geldschöpfung aus dem Nichts" hingegen würden Banken weder Termin- oder Spareinlagen noch Bankschuldverschreibungen oder Einlagen anderer Banken benötigen. Die Passivseite bestände nur aus den Positionen "Sichteinlagen" und "Eigenkapital". Da diese keine Zinskosten verursachen, würde ein Maximum an Gewinn erzielt.

Fazit:

Wie die oben gezeigte zusammengefasste Bankbilanz zeigt, ist weder die Theorie der Kreditvermittlung noch die der Kreditschöpfung ausschließlich zutreffend. Die Lösung liegt zwischen diesen beiden Extremstandpunkten. Praktisch sind die Geschäftsbanken sowohl als Kreditvermittler wie auch als Giralgeldschöpfer tätig. Ein Anteil von ca. 20 %, entsprechend 1,5 Billionen €, stehen den deutschen Banken ohne Zinskosten zur Verfügung. Diesen täglich fälligen Mitteln stehen zu einem großen Teil langfristig vergebene Kredite gegenüber. Hier ist es sicherlich angebracht, von einer Geldschöpfung auf Spekulationsbasis zu sprechen, d. h. die Banken verkaufen etwas, was sie selbst noch nicht besitzen. Sie hoffen, die fehlenden Mittel später zu günstigen Konditionen nachkaufen zu können. Der Begriff "Fristentransformation" kleidet diese Spekulation in einen seriösen Mantel. Aufschluss über den tatsächlichen Grad der Geldschöpfung kann die Durchschnittszinsertragsbilanz einer Bank geben. Diese wird jedoch von den Banken nicht veröffentlicht, so dass nur eine grobe Betrachtung über die Aufteilung der zuvor gezeigten Passivseite möglich ist.

Unbeschränkten Wettbewerb vorausgesetzt können die Banken aus der "Geldschöpfung" jedoch keinen Extragewinn generieren. Die Extragewinne landen als „Kreditsubventionen“ bei den Kreditnehmern.[3]



Einzelnachweise

<references >

  1. Details zu Überweisungen über Korrespondenzbankkonten
  2. Zur Zeit, Mitte 2016, eine wegen der geringen Zinssätze, kaum noch zutreffende Überlegung.
  3. In einem Vollgeldsystem würden diese Gewinne bei der Zentralbank entstehen.