Das Geldrätsel: Refinanzierung
Refinanzierung
Besitzen Banken nicht genügend Mittel, um einen Kredit zu vergeben, beschaffen sie sich hierzu fremde Mittel. Dieser Vorgang wird allgemein als „Refinanzierung“ bezeichnet. Die Fremdmittel sind Kredite, welche die Bank aufnimmt, um selbst Kredite vergeben zu können. Teilweise wird auch die Zurverfügungstellung von neuem Eigenkapital als Refinanzierung bezeichnet. Andere bezeichnen nur die Beschaffung von Zentralbankgeld als Refinanzierung. Daneben existieren jedoch weitere Auslegungen von „Refinanzierung“, sodass bei Verwendung des Wortes immer erklärt werden sollte, was in dem angeführten Zusammenhang darunter zu verstehen ist.
Nachfolgend einige Beispiele zum Vorgang der „Refinanzierung“ in einem weit gefassten Sinn. Es wird die Beschaffung von Fremdmitteln zur Erteilung von eigenen Krediten beschrieben. Diese Beispiele sind gegenüber der Realität stark vereinfacht, um die zentralen Prozesse stärker ins Blickfeld zu rücken.
Geldverleiher
Ein
Geldverleiher kann maximal soviel Geld verleihen, wie er tatsächlich auch besitzt. Er kann sein Geschäft jedoch ausdehnen, indem er sich selbst Geld leiht und dieses zu einem höheren Zinssatz weiterverleiht. Nebenstehende Abbildung zeigt die Bilanz des Geldverleihers. Er hat 1.000 Geldeinheiten (GE) in sein Geschäft investiert, welche als Eigenkapital auf der Passivseite stehen und auch gleichzeitig auf der Aktivseite als Kassenbestand aufgeführt sind. Er leiht sich weitere 800 GE und erhöht damit seinen Kassenbestand. Als Gegenposition hat er 800 GE als Fremdkapital auf der Passivseite notiert. Er verleiht nun 1.600 GE, womit sich sein Kassenbestand auf 200 GE reduziert. Die Bilanzsumme beträgt 1.800 GE. Auf der Passivseite der Bilanz ist aufgeführt, woher die Mittel für sein Verleihgeschäft kommen. Die Aktivseite verzeichnet, wohin die Mittel gegangen sind. Die Zahlen wie auch die Farbfelder kennzeichnen jeweils zusammengehörende Buchungsaktionen. Die Passiva lassen die Quellen der "Refinanzierung", die Mittelbeschaffung, erkennen.
Bank mit Banknotenausgabe
Der Geldverleiher sei nun eine Bank, welche auch Banknoten ausgeben kann. Dies war in Zeiten der Goldkernwährung bis Anfang des 20. Jahrhunderts noch möglich. Zahlte ein Kunde Goldmünzen ein, erhielt er als Quittung Banknoten. Für jede am Bankschalter vorgelegte Banknote garantierte die Bank umgekehrt die Rückzahlung von Goldmünzen. Die Bank gab nur soviele Banknoten aus, wie sie auch an Goldmünzen im Tresor vorhielt. Die Banknoten zirkulierten somit lediglich an Stelle der Goldmünzen in der Wirtschaft. Lieh sich jemand "Geld" in Form von Banknoten aus, war der Gegenwert der Banknote auch tatsächlich im Tresor der Bank als Goldmünzen vorhanden. Soweit bestand noch kein Unterschied zum zuvor beschriebenen Geldverleiher. Die Bank war als reine Geldvermittlerin tätig und konnte nur soviel "Geld" ausleihen, wie sie an echten Goldmünzen besaß.
Interessant und richtig profitabel wurde das Verleihgeschäft jedoch erst, wenn die Bank über ihren Bestand an Goldmünzen hinaus Banknoten druckte und diese über Kredite an Kunden in Umlauf brachte. Für diese Banknoten existieren keine Goldmünzen im Tresor der Bank. Bei der Gründung der Bank von England wurde genau dieses Konzept umgesetzt. Die Bank besaß lediglich eine Forderung an den Kunden. Diese war zum Beispiel mit einem Grundschuldbrief abgedeckt. Zahlte der Kreditnehmer seinen Kredit nicht zurück, so konnte die Bank das Grundstück veräußern und erhielt aus der Veräußerungssumme den ausstehenden Kreditbetrag.
Diese Vorgehensweise der Bank war ohne Risiko, solange keine größere Anzahl an Kunden die Banknoten zur Einlösung gleichzeitig vorlegte. Dieser als „Bank Run“ bekannte Vorgang trat ein, wenn eine Vielzahl an Kunden der Bank nicht mehr vertraute und ihre Banknoten zur Einlösung einreichten. Mangels fehlender Goldmünzen musste die Bank die Einlösung einstellen. Die Bank war zwar dann nicht pleite im Sinne von „dauerhaft zahlungsunfähig“, sondern nur vorübergehend nicht in der Lage, den berechtigten Auszahlungswünschen ihrer Kunden in Goldmünzen nachzukommen. Das Vertrauen in die Bank war jedoch nachhaltig gestört, was in der Regel zu einem Wechsel der Kunden zu einer anderen Bank führte. Ohne Kunden konnte die Bank jedoch ihre Pforten schließen.
Wie konnte die Bank der Gefahr eines solchen Bank Runs entgegenzuwirken? Sie veranlasste einen Teil ihrer Kunden auf die Nutzung ihrer eingelegten Goldmünzen oder die Auszahlung von Guthaben zu verzichten. Dies geschah, indem die Kunden ein Sparguthaben anlegten, d.h. für die Spardauer verzichteten sie auf die Auszahlung von Goldmünzen. Die Bank konnte zwar theoretisch unendlich viele Kredite vergeben ohne pleite zu gehen, aber vor einem Bank Run war sie erst sicher, wenn sie im Gegenzug genügend viele Sparkunden besaß, die ihr Guthaben bei der Bank beließen.
Idealbank
Die
Idealbank ist der „Wicksellschen Idealbank“ nachempfunden. Sie ist die einzige Bank in einem Land und arbeitet ohne Bargeld. Die Bank startet mit einem Eigenkapital von 1.500 GE, bestehend aus Sachvermögen, zum Beispiel aus einem Bankgebäude. An ihre Kunden vergibt die Bank insgesamt Kredite in Höhe von 7.500 GE. Hierdurch sind auch insgesamt 7.500 GE Buchgeld auf Girokonten entstanden. Dieses Buchgeld kann die Idealbank in fast beliebiger Höhe selbst erzeugen. Es existiert nur in den „Büchern“ der Idealbank. Ohne Probleme kann die Idealbank jegliche Zahlungsvorgänge ausführen, da nur „Idealbank-Buchgeld“ hierfür verwendet wird.
Zentralbank-Bargeld
Die Ausgabe von eigenen Banknoten wurde den meisten Banken Ende 19. Anfang 20. Jahrhundert gesetzlich untersagt. Banknoten durften fortan nur noch von der neu eingerichteten Zentralbank ausgegeben werden. Das, im vorletzten Abschnitt beschriebene Modell „Bank mit Banknotenausgabe“ änderte sich dadurch jedoch nur wenig. Die Banknoten wurden lediglich durch "Geschäftsbanken-Buchgeld" ersetzt.
Benötigte die Geschäftsbank Bargeld zur Auszahlung an ihre Kunden, musste sie sich dieses Bargeld erst bei der Zentralbank besorgen. Hierzu war es erforderlich, einen Kredit bei der Zentralbank aufzunehmen und sich diesen in Bargeld auszahlen lassen. Die Bindung an das neue, extern vorgegebene Bargeld, stellte jedoch einen erheblich einschränkenden Faktor bei der Kreditschöpfung der Geschäftsbank dar. Einzelheiten sind im Abschnitt Barreserve aufgeführt.
In der dargestellten Bilanz hat die Geschäftsbank einen Kredit über 1000 GE bei der Zentralbank aufgenommen und damit entsprechend einen Kassenbestand von 1.000 GE geschaffen (Vorgang 3). Sie konnte weiterhin Kunden zur längerfristigen Anlage ihrer Girogelder bewegen, d.h. zur Umwandlung von Buchgeld in Spargeld. Die Summe der Kundeneinlagen beträgt weiterhin 7.500 GE (Vorgang 2a + 2b).
Die dargestellte Bilanz bildet den Spezialfall eines Geldsystems noch ohne Bargeld bei den Nichtbanken ab. Sämtliches Bargeld befindet sich im Besitz der Bank. Kaufkraftfähig bei den Nichtbanken, den Kunden der Bank, sind lediglich die Giroguthaben in Höhe von 2.000 GE. Einen Teil ihrer Giroguthaben können die Kunden jedoch auch bar abheben. Die kaufkraftfähige Geldsumme bei den Kunden, bestehend aus den Guthaben auf Girokonten sowie den in ihrem Besitz befindlichen Bargeld, ändert sich dadurch jedoch nicht. Bei der Bank würde durch eine Barabhebung von zum Beispiel 500 GE eine Minderung des Kassenbestandes und auch der Girokonten um diesen Betrag eintreten. Buchungstechnisch tritt hierbei eine Bilanzverkürzung ein.
Refinanzierungsmix
Aus der Bilanz lässt sich unter Aktiva das Vermögen der Bank und unter Passiva der Schuldenstand der Bank, bzw. die Herkunft der Mittel zur Vermögensbildung ablesen. Als Refinanzierungsmix[1] bezeichnet man dabei die Zusammenfassung der einzelnen Liquiditätsquellen der Bank. Diese sind in dem gezeigten Bilanzbeispiel der Kredit bei der Zentralbank, die Sichtguthaben und Sparguthaben der Kunden sowie auch das Eigenkapital der Bank.
In der Abbildung rechts
wird die durchschnittliche Refinanzierung der deutschen Banken aufgezeigt.[2] Einlagen von Nichtbanken erreichen einen Anteil von 42 %. Bei Unterscheidung[3] der beteiligten Bankengruppe zeigen sich erhebliche Unterschiede. Während die Sparkassen und Genossenschaftsbanken einen Anteil von ca. 65 % bei den Einlagen von Nichtbanken aufzeigen, sinkt dieser Wert bei den Großbanken auf einen Anteil von nur ca. 35 %, mit abnehmender Tendenz.
Die „Notwendigkeit“ von Einlagen der Nichtbanken zur Kreditgewährung ist ein dauerhafter Streitpunkt, auch unter Wirtschaftswissenschaftlern. Im Abschnitt Vermittler oder Schöpfer? werden diese vermeintlichen Gegensätze näher beleuchtet.
Geschäftsbanken-Buchgeld
Die Geschäftsbank mit Zentralbank-Bargeld kann nach wie vor Kredite vergeben, bekommt jedoch ernsthafte Schwierigkeiten, wenn sie verspricht, auf Anforderung ihrer Sichtguthabenbesitzer deren Guthaben in Zentralbank-Bargeld auszuzahlen. Für die Geschäftsbank ist dieses Bargeld gleichbedeutend mit einer fremden Währung. Sie soll in einem Gelde leisten, welche sie selbst nicht herstellen kann. Deshalb muss sie bei der Zentralbank einen Kredit aufnehmen, um an Bargeld zu gelangen. Über die Bargeldversorgung wird im heutigen System eine Abhängigkeit zwischen der Zentralbank und den Geschäftsbanken hergestellt. Bei der Idealbank ohne Bargeld konnte keine Zahlungsunfähigkeit entstehen, da sie sämtliche Zahlungsmittel selbst herstellte.
Aus der letzten Bilanzdarstellung geht hervor, dass bereits eine Kundenforderung über die Auszahlung von 1.100 GE die Geschäftsbank zahlungsunfähig machen würde. Um solche Probleme zu vermeiden entwickelte Otto Hübner 1854 die „ Goldene Bankregel“, nach der jeder zu vergebende Kredit mit einem angenommenen Kredit gleichen Betrages und auch gleicher Laufzeit gedeckt werden sollte.
Einzelnachweise
<references >
- ↑ Refinanzierung der Kreditwirtschaft: Bankenrefinanzierung im Umbruch
- ↑ Hinweis: Kredite der Deutschen Bundesbank (Zentralbank) sind in der Position „Einlagen von Banken“ mit enthalten.
- ↑ Monatsbericht der Deutschen Bundesbank, September 2008, Grafik Seite 61.